Vertrieben
Im fahlen Licht die Brasserie,
die Straßen sind noch menschenleer,
der Sommer liegt in Agonie
erdrückt von Wolken regenschwer.
Ein Lied klingt leis mir durch Äonen,
in Worten, die ich längst vergaß,
erzählt von Riesen und Dämonen
und Schätzen, die ich einst besaß.
Ich klammer mich an deine Hände,
dein Brief und ich im Ringelreihn.
In öden Straßen wächst das Fremde,
aus ockergelber Erde: Wein -
so süß der Duft von den Spalieren,
ein alter Baum, die Schaukel schwingt.
Wie konnte ich das Bild verlieren,
nicht hören, wie der Wind dort singt?
Die weichen Schwünge jener Weite
vor dunstverhangnen Bergen - schroff
und wild - und du an meiner Seite,
ist Tag für Tag, was ich erhoff.
Der Kellner wischt die leeren Tische,
und diese Stadt wird mir so fremd.
Ich bin der Bettler in der Nische
und rieche dein verschwitztes Hemd.
Der Schmutz klebt zwischen bloßen Zehen,
du läufst mir nach, ich lache laut.
Es legt sich Staub und ich kann sehen,
wie über Nebeln Himmel blaut.
Stets war ich diesem Land verbunden
aus dem ein Dämon mich vertrieb.
Vergessen heilt nur scheinbar Wunden.
Nun weiß ich, dass ich immer blieb.*)
*) die klassische Kitschabteilung habe ich leider nicht gefunden
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Liebe charis,
der Unkerich ist ein ganz scharfer, der mag ja keinen Kitsch und hat mich schon zweimal verwarnt.
Aber dein Gedicht ist überhaupt kein Kitsch, sondern ein wundersames wehmütiges Werk von einem LI, das aus seiner Erinnerungsheimat vertrieben wurde.
Man spürt die seelischen Narben in jeder Zeile, aber auch dieser Aufbruch in neue Emotionen.
Die schmerzvolle Erinnerung an Vergangenes überträgt sich auf den Leser, der ähnliches erlebt hat.
Mir gefällt auch deine erfrischende Wortwahl in den unverbrauchten Reimen.
Und jetzt fällt mir auf, dass man hier gar keine Favoriten anlegen kann.
Sirius
Reset the World!
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Das gefällt mir, charis...
Die letzten Zeilen sind ein sehr gelungener Abschluss für dein schönes Gedicht.
"Nun weiß ich, dass ich immer blieb."
Denn jeder bleibt mit dem Herzen dort, wo er seine Wurzeln hat.
Vielleicht braucht es seine Zeit, bis es erkannt wird...
Liebe Grüße
Jonny
Schön, dass du auch hier bist...
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Registriert am: | 05.11.2015 |
Liebe charis,
eigentlich, aber nur eigentlich, mag ich lange Gedichte nicht ganz so gern, doch deines mag ich sehr.
"Nun weiß ich, dass ich immer blieb." ist wirklich ein gelungener Abschluss für ein gelungenes Werk.
Lieben Gruß
scrabblix
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Hallo, Ihr Lieben,
Auch hier erst einmal kurz: Vielen Dank!
Dieses Gedicht liegt mir sehr am Herzen.
Lieben Gruß
charis
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