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RE: die leben der anderen

#1 von scrabblix , 25.04.2018 22:29

die leben der anderen

verlor mich
in wünschen
die mir
nicht gehörten
ging wege
die nie
die meinen waren
lebte
ungelebte
leben


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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RE: die leben der anderen

#2 von weegee , 26.04.2018 21:40

Einfache, knallende Worte für eine einfache, knallende Wahrheit, wenn man sie erst einmal verinnerlicht hat. Dahinter steckt der urzeitliche Wunsch zu gefallen, denn nur wer gefällt, gehört dazu, ist ein AMDG (Anerkanntes Mitglied der Gesellschaft). Oder der Kollegenschaft. Oder der Familie. Oder der Ehe. Denn nur zusammen erlegt man das Wild und verhungert nicht und nur zusammen kann man sich erfolgreich gegen andere Gemeinschaften wehren. Oder diese erfolgreich angreifen. Nur, dass wir nicht mehr in der Urzeit leben sollten. Andere Leben leben, um geliebt zu werden. So häufig, so krank. Und auch: Solidarität ist etwas Anderes, ist NICHT Herdentrieb. Herdentrieb webt an braunen Hemden, Solidarität verteilt bunte, warme Decken.

Du siehst - da hast Du bei mir einen Nerv getroffen und atomisiert. Und mindestens den von Sirius auch.

Lyrik ist Widerstand gegen genau das: gegen das übergestülpte Leben der Anderen.

LG

Jörn


Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)

 
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RE: die leben der anderen

#3 von Sirius , 26.04.2018 21:58

Meinen sowieso. Meinen Nerv.
Ich denke, ein jeder möchte SEIN Leben führen und nicht das der anderen, das die einem vorgeben.
Aber das ist leichter gesagt als getan. Ich selbst habe auch lange das Leben anderer geführt und nicht mein eigenes, dafür blieb immer keine Zeit.
Sobald man wirklich sein eigenes Leben führt, merkt man auch, wie allein man ist (aber nicht einsam!).
Die Wünsche aber gehören einem selbst, denke ich.
Wie man sieht, ein sehr nachdenklich machendes Gedicht..

Sirius


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RE: die leben der anderen

#4 von Angelika , 27.04.2018 19:33

Ein sehr trauriges Resümee, scrabblix. Die Entfremdung des Menschen von sich selbst ist eine Folge der gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen niemand der sein kann, der er sein könnte. Sehr knapp formuliert, fast zu knapp, als wollte die Schreiberin am liebsten darüber schweigen.

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RE: die leben der anderen

#5 von Jonny , 01.05.2018 14:17

Gedankenversunkene Zeilen, liebe Lotte, in denen man Parallelen entdeckt.
Gern - und mit einem stummen Kopfnicken gelesen...

Jonny

 
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RE: die leben der anderen

#6 von scrabblix , 06.05.2018 01:43

Ihr Lieben,
lieber Jörn,
lieber Sirius,
liebe Angelika,
lieber Jonny,

ja, gegen meine Gewohnheit heute einmal ganz förmlich, danke ich euch von Herzen für eure Worte, euer Verstehen!

Ihr glaubt ja gar nicht, wie schwer mir eine Antwort auf eure Kommentare diesmal fällt. So viele Gedanken... Einen Roman könnte ich schreiben.

Ich finde eine Tupperschüssel in meinem Küchenschrank, mich in einem Schulabschlussgottesdienst, auf einer Kegeltour, einer Weihnachtsfeier... Immer denke ich mir: Du bist nicht gemeint. Ich bin dabei, mache mit, bin aber nicht gemeint.

Schweige, sage ja, nein, vielleicht, rede übers Wetter... Was ich zu sagen hätte, interessiert eh niemanden, es irritiert nur. Irritiert, wie der Lösungsweg der Matheaufgaben, den ich meinen Schulkolleginnen näherbringen wollte. Ich verstand sie, sie mich nie.
Irritiert, wie die Aussage: "Ich schreibe Gedichte". Die Reaktionen unterscheiden sich in nichts von denen, die man erhält, wenn man sagt: "Ich habe Krebs". Peinliches Schweigen. Leider weiß ich in beiden Fällen, wovon ich schreibe.

Ich bin oder war dabei. Teil einer Gruppe, Schule, Arbeit, Familie, Freizeit... Egal, das Ergebnis war und ist in neun von zehn Fällen dasselbe: Ich blieb und bleibe leer zurück. Es ist so anstrengend, immer auf den zehnten Fall zu warten.

Sie waren und sind mir alle lieb und wert, und doch war und werde ich nie eine der ihren. Sie sind die Erde, ich bin der Mond.

Lottegrüße in euren Sonntag


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RE: die leben der anderen

#7 von Sirius , 06.05.2018 20:20

Liebe Lotte,

wie ehrlich und bedrückend du schreibst. Und wie traurig.
Ich denke, es geht vielen von uns so, dass wir oft nur Teilnehmer sind und leider auch oft beliebig austauschbar. Das ist bei Einladungen so, bei Familientreffen, im Betrieb. Man gehört „irgendwie“ dazu, aus Höflichkeit, Pflicht, weil man vielleicht zu jemanden anderen gehört. Ich bin deshalb kein Freund dieser Veranstaltungen, auch wenn es gut gemeint ist, auf der anderen Seite: Wie wäre es denn so, dass es mich erfreut?

Du willst sicher nicht im Mittelpunkt stehen, Lotte, und bestimmt ist es so, dass man bei Zusammentreffen jedweder Art genau und explizit dich meint, aber das ist es auch nicht, was du sagen willst. Dir geht es nicht um die Aufmerksamkeit, sondern darum, was es dir persönlich bringt, denke ich mal. Die Dinge, die besprochen werden, die Dinge, die DIR wichtig wären, die Themen, die Gedanken, die Meinungen, Worte, mit denen du etwas anfangen, Menschen, die du ernst nehmen kannst, Empfindungen, die auch die deinen sind.

Es ist leider auch so, dass wir wieder in Zeiten leben, in denen eine freiheitliche, emotionale Meinung nicht mehr so gefragt ist, dass man sich an Menschen hält, die mit dem Mainstream schwimmen, dass angebliche Menschlichkeit zur Verlogenheit verkommt, dass man nicht mehr die Felsen in der Brandung erkennen kann. Da ist es schwer, auf Menschen und Meinungen zu treffen, die einem sympathisch sind, abseits der vorgeschobenen Höflichkeit.

Aber sie sind da, diese Menschen, deren Gedanken genau dich meinen und dich als Person, die genau dich und deine Wünsche, Ängste und Erwartungen ernst nehmen.
Zumindest hier bei Tacheles.

Sirius


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RE: die leben der anderen

#8 von weegee , 06.05.2018 21:52

Wie können sie dich meinen, wenn sie noch nicht einmal sich selbst meinen?

Vielen Dank für deine grundehrlichen, mich aufrührenden Worte, liebe Lotte. Ich denke, alle, die hier schreiben und lesen, wissen, wovon du sprichst. Ich habe eine riesige Verwandtschaft und ein paar richtig gute Freunde, dazu eine mehr als zwanzigjährige feste Beziehung. Und trotzdem bin ich von Grund auf unzufrieden. Oft. Ich bin ständig in Gesellschaft von irgendjemandem, bin ein Anerkanntes Mitglied von Gesellschaften AMDG. Und bin doch so oft zutiefst einsam. Von all diesen Menschen gibt es genau ZWEI, die mir ein Gefühl von Zuhause vermitteln, eine tiefe Verbundenheit. Darum geht es mir: Die TIEFE der Verbundenheit, einmal in einem anderen Menschen BLEIBEN dürfen. Alles andere ist nett, ist aber doch nur ein Stückchen Verlorenheit.

Und genau von diesen ZWEI Seelen darf ich Verstehen erwarten, dass ich Gedichteschreiben brauche wie den Boden unter den Fußsohlen. Alle anderen dürfen und brauchen es nicht wissen, weil die Reaktionen sein würden: Gelächter, Aggressivität, Abtun. Weil sie denken, Gedichte und Schreiben sind weich. Und weich ist verboten. (Dabei können und müssen Gedichte hart und scharf sein wie Damaszenerstahl, wir bei tacheles wissen das.)

Ich möchte auch nicht im Mittelpunkt stehen, ich möchte, dass man mich sieht und erkennt und dass ich andere Menschen sehe und erkenne.

Auf Herrn Krebs warte ich noch.

LG, ICH verstehe dich überaus, Lotte.

Jörn


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RE: die leben der anderen

#9 von scrabblix , 16.05.2018 22:51

Wie du richtig erkannt hast, Sirius, geht es mir nicht darum, im Mittelpunkt zu stehen. Es geht mir einzig um die Schwierigkeit, Puzzle zu finden, in die mein Puzzleteil passt.

Mister Krebs habe ich längst gekillt, Jörn. Aber vorher hat er mich meine Mitmenschen noch einmal ganz neu kennenlernen lassen.

Dass ihr mich versteht, tut sooo gut!


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RE: die leben der anderen

#10 von kama tanha , 21.05.2018 21:25

Das ist ein trauriges Resumee liebe Lotte. Aber es ist schön, wenn noch Zeit übrig bleibt für die Erfüllung eigener Wünsche..


"Leg dein ganzes Sein in dein geringstes Tun" (Pessoa)

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