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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#1 von Angelika , 17.05.2018 11:15

Jede Abtrünnigkeit vom Realismus im historischen Sinne des Wortes ist ein Verrat am Gang der Geschichte, aber gerade deshalb hat der Realismus seinen Ort nicht außerhalb der Geschichte, der Realismus ist der einer gegebenen Epoche der Gesellschaft.

Gefunden bei Aragon, dem bekannten französischen Schriftsteller.

Mich stört, seit ich schreibe, und das ist ziemlich lange her, das Wolkenkuckucksheim in so manch einem Gedicht. Als lebten die Menschen nicht zu dieser Zeit, nicht in diesem Land und wären sozusagen Stereotype des Menschen, nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Holz, angelehnt an die reaktionäre Haltung eines Gottfried Benn, der das apolitische, "reine" Gedicht beschwor. Was aber kann ein Gedicht bringen, wenn es sozusagen von Menschen spricht, die nicht Teil dieser Gesellschaft sind, sondern in einem gesellschaftlichen Vakuum leben und lediglich Individuum sind und nichts sonst?

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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#2 von Sirius , 17.05.2018 21:05

Der Realismus in seinem ganzen Umfang ist gar nicht erträglich (gefunden bei Sirius).


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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#3 von Angelika , 18.05.2018 01:40

Sirius, das ist eine typisch spätbürgerliche Antwort, an der tatsächlich zum Teil Benn in der westdeutschen Literatur schuld ist mit seiner durch und durch irrationalen und dadurch reaktionären Haltung, was vor allem durch die Berufung auf Nietzsche geschah. Benn wurde ja in den Fünfzigern zur Ikone der Lyrik erklärt mit seiner Dekadenz und war doch nichts weiter als Ausdruck des Bemühens, jede progressive Entwicklung Westdeutschlands zu verhindern. Ist dir Holthusen noch ein Begriff, sein Apologet, der vor allem Dichter angegriffen hatte, die sich literarisch auf das Gebiet des Politischen begeben hatten, zum Beispiel die beiden Manns oder Arnold Zweig oder Brecht. Manchmal hilft es, wirklich gute Literatur zu lesen, um seinen Kopf wieder klarzukriegen.

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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#4 von weegee , 18.05.2018 09:07

Irrational = reaktionär? Glaub ich nicht. Angelika - wieso klingt das alles in meinen Ohren nach DDR-Kaderschule?

Das ist mir alles egal, das ist bloß Literaturwissenschaft. Ich mag blaue Pferde.

LG

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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#5 von Sirius , 18.05.2018 13:18

Holthusen? Hans Egon? Der Nazi, von dem Mascha Kaleko keinen Preis annehmen wollte?
Der „Über den sauren Kitsch“ Borchert und Sartre kritisierte? Ein SS-Offizier als Hüter des Realismus?
Ihr korsettierten Buchstabenbauer habt ein Problem: ihr badet in der Sachlichkeit des Alltags, haltet andere für doof, die ihre Emotionen verarbeiten und wollt sie zurückführen die Plattenbauten der seelenlosen Lyrik-Architektur.
Es ist ja gerade diese Realität, die die Lyriker flüchten lässt in die Metaphern, in die Kreativität der Sprache, oder wie du meinst, in die Realitätsverweigerung der Spätbürger.
Alles Schlagwörter, Blabla, wissenschaftliche Arroganz, Schubladendenken der Wortvernichter, die uns alles so gerne verbal uniformiert sehen.

Wer entscheidet denn, was wirklich „gute“ Literatur ist, von wirklich menschlich miesen Gestalten? Entscheide nicht ich, was für mich gute Literatur ist, entscheidet nicht der Leser, was für ihn“gute“ Lyrik ist?
Ich bin lieber ein Individium in meinem Vakuum als ein Lemming in der Gewalt eurer seelenlosen sprachlichen Belanglosigkeit. Ich muss die Realität akzeptieren in ihrer Dummheit und Monotonie, sie bejubeln in der Freiheit meiner Sprache muss ich nicht auch noch.
Du wirst wohl weiter leiden müssen, dass wir nicht alle uniformierte Sprachmutanten werden wollen.

Sirius


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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#6 von weegee , 18.05.2018 22:19

Mann, das ist doch gerade der Kern von Lyrik und Poesie: die gedankliche UND emotionale Freiheit, die in sprachlicher FREIHEIT ihren Ausdruck findet. Kunst gibt es nur durch und in innerer Freiheit, alles andere ist Konstrukt.

Jörn


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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#7 von scrabblix , 18.05.2018 22:36

Ich ziehe mal Ludwig Uhland heran, und da ist es völlig egal in welchem Jahrhundert er seine Weisheiten von sich gegeben hat, den Kern der Dichtung hat er treffend analysiert:

"Die Seele, darein Mutter Natur in der reichsten Fülle die Kräfte des Empfangens und des Wirkens gelegt hat, das ist die Dichterseele. Vermöge der empfangenden Kräfte hat sie die feine Berührbarkeit, die sie das zarteste [...] der äußeren und inneren Welt fühlen läßt, und das leise Ohr, das ihr die geheimsten Ahndungen zu vernehmen gibt;...

http://www.zeno.org/Literatur/M/Uhland,+...ektive+Dichtung

Ohne diesen Kern, ohne Gefühl, ohne Seele, ist ein Gedicht nur eine gebastelte Hülle.


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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RE: Aragon und der Realismus in der Literatur

#8 von Angelika , 20.05.2018 14:06

Ich habe mit diesen und ähnlichen Antworten gerechnet. Ist ja auch alles nicht so einfach zu verstehen.
Literatur aber ist nichts, was aus dem heiligen Geist kommt, sondern von Menschen, die in der Realität leben - mit der sie sich nicht beschäftigen wollen, weil sie irrtümlich der Ansicht sind, Realität sei kein Gegenstand für ein Gedicht. Doch das Gegenteil ist der Fall, die Realität ist der einzige Gegenstand von Literatur, ist die einzig wahre, ernstzunehmende Kunst. Darüber streiten sich die Literaten, die Lyriker vor allem, je nach Schule oder privatem Standpunkt. Nehmt es mir nicht übel, eigentlich habe ich gar keine andere Antwort erwartet als diese.

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