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RE: Früher Morgen

#1 von Angelika , 17.05.2018 04:51

In diesen Tagen,
randvoll das Herz, die alten Fragen,
was wird sein. Vorm Fenster
die Vögel, die Brut in den Nestern,
nichts wissen sie von Endlichkeit.

Noch schläft der Tag.
Es hätte das Herz sein können,
so ist es die Niere nur. Man kann,
sagt die Ärztin, auch mit einer Niere
noch leben.

Leben, auch mit der Angst.
Was wird sein, was wird sein?
Die Bücher stehen in Reihe.
Wird sie jemand noch lesen?
Menschliches, ins Wort gepresst.

Manchmal ein Auto.
Wären die Vögel nicht, Stille nur,
Stille bis zur Gehörlosigkeit.
Und drüben, hinter den Fenstern,
schon Licht.

17.5.18

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RE: Früher Morgen

#2 von weegee , 17.05.2018 15:26

Das gefällt mir RICHTIG gut, Angelika. Da ist Gefühl drin, zum Überschwappen. Besonders der erste und der letzte Vers tragen eine beängstigende, bedrückende, ohnmächtige Stimmung. Schon Licht hinter den Fenstern - doch ein Anflug von Hoffnung oder auch ein Licht, das das Dunkel nur noch verstärkt. Für mich gehören der erste starke und letzte starke Vers zusammengezogen zu einem kürzeren Gedicht, das wär noch komprimierter, intensiver. Für mein Empfinden. "Stille bis zur Gehörlosigkeit" ist klasse.

Ich hoffe für dich, dass das die Niere des LI ist und NICHT deine eigene.

LG & Danke für das Teilhaben an deinem Innenwesen.

Jörn


Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)

 
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RE: Früher Morgen

#3 von Angelika , 17.05.2018 16:21

Danke, Weege, fürs Reinschauen. Möglich ist alles, aber so, wie es ist, ist es. Ja, es ist nicht die Niere die LI. Ich hatte im März eine Nierenkrebsoperation. Wie es weitergeht, wer kann das sagen. War eine Zeit, in der es nicht nur deshalb dicke kam. Und das dicke Ende ist immer noch nicht da.

Angelika

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RE: Früher Morgen

#4 von Sirius , 17.05.2018 21:16

Weegee hat recht, es kommt Gefühl rüber. Etwas, was man oft bei dir vermisst, trotz aller Handwerklichkeit und Schönheit der Gedichte, aber ich will es ja nicht angucken, sondern es soll etwas bei mir ankommen.
Es ist traurig und bedrückend, aber nicht inhaltlich berührt es, sondern durch deine Schreibe.

Und ich wünsche dir von Herzen, dass es gesundheitlich kein dickes Ende für dich gibt, sondern das alles gut wird. Gute Besserung, Angelika!

Sirius


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RE: Früher Morgen

#5 von scrabblix , 17.05.2018 22:28

Das sind wahrlich berührende Zeilen, Angelika! So nachvollziebar, so mittendrin in den Ängsten und Gedanken, die zur eigenen Überraschung immer noch Alltägliches aufnehmen.

Dir von Herzen alles Gute!

Liebe Lottegrüße


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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RE: Früher Morgen

#6 von Angelika , 18.05.2018 01:22

Sirius, da bin ich nicht deiner Meinung. Ein Gedicht zeichnet sich nicht durch "Gefühl" aus, sondern durch ganz andere Momente. Es entsteht auch nicht aus "Eingebung" irgendeines dichterischen Geistes, sondern vor allem durch Ordnung der Gedanken und durch Wissen und durch eine Haltung, die ich als grundsätzlich humanistisch bezeichnen würde. Inhumanes habe ich hier noch nicht gelesen, aber solches, das auf Gefühligkeit setzt, schon. Das hat viel mit der Suche nach dem eigenen Ausdruck zu tun, noch nicht ausgereiftes handwerkliches Können, da wird oftmals der Gedanke durch eine Prise Larmoyanz ersetzt.
Diese Periode des Schreibens habe ich lange schon hinter mir. Was bleibt, ist die Frage nach dem Wozu.

Angelika

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RE: Früher Morgen

#7 von Angelika , 18.05.2018 01:26

Danke, Scrabblix. Ich hoffe, dass das Gedicht nicht allzu berührend geworden ist. Ich habe vom Erlebnis eines Morgens geschrieben, mehr nicht, und da fließen eben auch andere Gedanken mit ein.

Angelika

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RE: Früher Morgen

#8 von Sirius , 18.05.2018 13:31

Ein Gedicht zeichnet sich durch die Reaktion aus, die beim Leser entsteht, nicht durch jene, die du ihm vorgeben willst, Angelika.
Gefühle sind nicht nur Lachen und Weinen, sondern auch Ärger, Stumpfsinn oder Bosheit.
Du kannst deine Gedanken ausrichten wie die Geranien auf dem Balkon und Humanismus und Emotion im Widerspruch sehen, ich jedoch halte nichts vom stumpfsinnigen Beamtentum in der Lyrik. Wegen diesem „handwerlichem Können“ stehen Lyrikbände in den Buchläden auch verschämt in der hintersten Ecke. Nur die Autoren ihrer Kunstwerke ergötzen sich untereinander daran, zeigen stolz ihre Wörte vor, die sie gebaut haben, der Leser aber geht andere Wege. Ihr seid so mit Arroganz gesegnet, dass ihr darüber gar nicht nachdenken könnt.

Sirius


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RE: Früher Morgen

#9 von scrabblix , 18.05.2018 22:19

Ein Gedicht kann nicht zu berührend sein, Angelika, es muss berühren. Anderenfalls könnte man seine Zeit auch damit verbringen, den DAX-Index in der Tageszeitung zu konsumieren.


Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.

 
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RE: Früher Morgen

#10 von Angelika , 20.05.2018 19:32

Scrabblix, es gibt doch viele Genres von Gedichten. So einfach zu sagen, ein Gedicht muss berühren, ist eine zu enge Sicht. Ein Gedicht muss in erster Linie den Intellekt ansprechen, nichts dagegen, dass es auch die Emotion anspricht, ist sogar erwünscht, weil man den Menschen eher über die Emotionen erreicht als über den Intellekt, die Menschen sind denkfaul. Aber spricht nun nur diese Art Berührung für das Gedicht? Oftmals artet die Berührung in Larmoyanz, in Kitsch aus. Den Mittelweg zu finden ist nicht leicht, aber Denken und Fühlen sollten sich die Waage halten. Ich schreibe zum Beispiel sehr gern ironisch gemeinte Gedichte oder politische Satire, die Gefühle überlasse ich gern den dazu Prädestinierten. Aber nun ein Gedicht mit der gefühligen Brille zu lesen und zu beurteilen, tut mir leid, Scrabblix, das ist der reinste Dilettantismus, auch wenn ab und zu ein Gedicht gut gelingt.


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RE: Früher Morgen

#11 von kama tanha , 20.05.2018 21:46

Dein Gedicht gefällt mir. Die Endlichkeit macht demütig, erinnert. Ein Gedicht, das einen ebenso erinnert und vor allem eines, das relativiert.


"Leg dein ganzes Sein in dein geringstes Tun" (Pessoa)

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RE: Früher Morgen

#12 von Angelika , 21.05.2018 14:05

Nein, Sirius, da irrst du dich. Ein Gedicht ist das Werk von beiden: vom Autor und vom Leser, nicht, wie es beim Leser ankommt. Der Leser erwartet etwas, dass ihm etwas Neues gesagt wird, und wenn er kein Dummkopf ist, ein weitgefächertes Interesse hat, findet er auch, was er sucht. Die Bücher, die du meinst,
die dann in den Buchhandlungen in den Regalen verfaulen, ich habe sie gelesen, sie waren sowohl handwerklich als auch inhaltlich belanglos. Viel kleinbürgerlicher Kleinkram, geschweige denn Politisches, eben nicht gekonnt, man kann sich den Verfasser vorstellen. Beschäftige dich mal mit der Geschichte der bundesdeutschen Lyrik seit den fünfziger Jahren bis heute, und du wirst feststellen, ein so niedriges Niveau wie heute, nicht ernstzunehmen, gab es zuvor nicht, obwohl es auch in der Lyrik eine Menge Reaktionäres gab. Da ist es verständlich, dass die Buchhandlungen auf gestandene Autoren setzen und auf Namenlose verzichten. Die Frage ist doch sowieso: Soll ein Gedicht etwas bewirken im Sinne von Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse, von Progressivität, oder soll es im Hergebrachten, in der Sehnsucht nach den angeblich goldenen Zeiten verharren? Ein hingeschludertes Gedicht, noch dazu von inhaltlicher Belanglosigkeit, reizt eben niemanden zum Kauf. Bücher sind teuer heutzutage. Ich bin sogar der Ansicht: Einer, der schreibt, egal, ob Prosa oder Lyrik, muss ein politischer Mensch sein, er muss die Themen der Gegenwart aufgreifen, erst dann ist er überhaupt von Interesse. Herz, Schmerz und sonst noch was interessieren keinen Leser mehr. Und wenn dann noch nicht mal das Handwerk stimmt, na dann ist doch ganz aus. Ich habe für mich einen Autor entdeckt. Nicht immer bin ich ganz einverstanden, aber sehr oft. Ihm gelingt es nämlich öfter mal, Individuelles mit den großen politischen Themen zu verbinden, er hat etwas zu sagen, durchweg humanistisch. Ein Westdeutscher, der jetzt in der Schweiz lebt, weil ihm die deutschen Zustände zum Halse raushingen, kein Konformist. Ich komme von der sozialistischen Literatur, ich bin es gewohnt, in jedem Gedicht den großen gesellschaftlichen Bogen anzusprechen zu versuchen. Diese Gedichte aber kann ich hier in diesem Kreis nicht posten, weil sie niemand verstehen würde. Das ist das Elend der ostdeutschen mit der Literatur Befassten. Nicht immer auf das Kleinklein starren, der Dichter hat einen unausgesprochenen Auftrag, und er muss seiner Zeit immer einen Schritt voraus sein. Dann wird er auch gelesen.

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RE: Früher Morgen

#13 von weegee , 22.05.2018 08:49

Angelika, ich habe eine gute Nachricht für Dich, die Dein Leben verändern wird: Die DDR gibt es nicht mehr, Du darfst jetzt eigene Gedanken haben.

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RE: Früher Morgen

#14 von Sirius , 22.05.2018 20:52

Das ist sicher dein Lieblingssatz: Du irrst dich! Alle irren sich, der doofe Leser sowieso, der erst mal eine sozialistische Grundausbildung braucht, bevor er sich ein Buch kaufen darf, das du ihm vorgibst. Beschäftige dich mal.., Lese mal..Mit der Befehlsform kennst du dich ja aus.
Und natürlich weiß niemand anderer als du, was belanglos ist. Soweit kommt das noch, dass das jeder selbst entscheidet.

Und wo stehen denn nun die handwerklich herausragenden Nichtigkeiten einer Einheitssprache von Elite-Autoren der braven Volksgenossenschaft? Im Schaufenster oder unter dem Ladentisch neben den Pornos und Machwerken Holthusens?
Oder im Zeilen-Konsum? Im Internet sind sie sicher heiß begehrt, wenngleich ich in den Foren wenig finde, vielleicht kannst du für uns Dumme mal einen Link reinstellen, wo man diese prächtige Schaukasten-Lyrik bewundern kann, die dir genehm ist.

Du willst die Schubladen festlegen, selbst deine Prosa legst du als zeitgenössische Lyrik fest, ungeachtet aller anderer Experten, du bist die Expertin schlechthin, basta.
Selbst Menschen, die nur eine Meinung haben, irren sich, auch jene, die etwas wissen, und die Deppen, die etwas schreiben, das nicht gedDINt ist, ohnehin.
Du bist es, die noch das Gefängnis im Kopf hat und nur durch die Gitterstäbe schreiben kann.
Natürlich sind deine Gedichte gut und handwerklich sauber, aber sie sagen auch nicht mehr aus und bleiben länger haften als unsere.

Sirius


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RE: Früher Morgen

#15 von scrabblix , 23.05.2018 21:14

Was berührt, Angelika, hat nichts aber auch gar nichts mit Larmoyanz zu tun. Es kann aufwühlen, schockieren, provozieren, wachrütteln, befremden usw. usf.. Menschen die sich lesend oder schreibend mit Gedichten beschäftigen, sind mitnichten denkfaul, sie beherrschen das Zusammenspiel von Intellekt, Phantasie, Intuition und Gefühl zumeist recht gut.

"randvoll das Herz" "Leben, auch mit der Angst.". Das randvolle Herz und die Angst, sprechen sie nicht von Gefühlen? Und eben die soll der Leser deiner Meinung nach nicht wahrnehmen?

Was mich betrifft, so trage ich keine Brille, auch keine gefühlige. Bleibe aber gerne Dilettantin, wenn es mich davor bewahrt, allzu überheblich zu werden.

Liebe Lottegrüße


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