Ilija Trojanow: „Tausend und ein Morgen“
lija Trojanow und sein kunstvoller, vielfältiger Zeitreise-Roman „Tausend und ein Morgen“.
Die Menschen einer fernen Zukunft können problemlos durch Zeit und Raum reisen, problemlos, weil die technischen Möglichkeiten ungeheuerlich sind (das Beamen der Enterprise-Crew ein Anachronismus dagegen). Auch sind die Menschen einer fernen Zukunft gerade impertinent vernünftig und informiert. Weil sie es schöner und besser finden – und es ist schöner und besser fürwahr –, leben sie nach dem „dialogischen Prinzip“. Wer zum Beispiel in Zeit und Raum reist, auf „Verwanderung“ geht, hat zu Hause eine vertraute Person, zu der die Verbindung nicht abreißt.
Alles wird reflektiert bis zum Überdruss, aber Überdruss stellt sich bei den Menschen einer fernen Zukunft nicht ein. Wäre es doch einmal so, würden sie eben aufhören. Womit auch immer. In einer geruhsamen Szene versuchen ältere Menschen jüngeren beizubringen, warum es den Menschen früher (also: heute) so viel schlechter ging (geht). Weil sie dem verrückten Irrtum anhingen, das Adjektiv „satt“ sei zu steigern.
Allerdings ist Ilija Trojanows neuer Roman „Tausend und ein Morgen“ kein Lehrbuch und Ratgeber zum besseren Leben, obwohl man sich, wie die Menschen der fernen Zukunft, nur wundern kann über uns Heutige und Frühere. Außerdem gibt es eine schlaumeierische KI namens Gog, die reinkommentiert und dem Autor die Möglichkeit gibt, Informationen aller Art hineinzupumpen. Begriffe, politische Umstände und die katastrophal lange Verfallszeit einer Papiertüte fliegen einem nur so um die Ohren. Ähnlich wie beim Navi im längst überflüssigen Auto lässt man sich von einer naseweisen Maschine lieber den rechten Weg weisen als von einem Menschen. Bücher gibt es weiterhin in einer gigantischen Bibliothek, die aussieht wie ein Elefant. Bücher braucht es, wenn es komplizierter wird, etwa die Frage aufkommt, wie es möglich ist (war), dass ein Mensch einen Menschen tötet. Ja, wie nur?
„Tausend und ein Morgen“ ist also trotzdem kein Lehrbuch. Stattdessen ist es, wie der wunderbare Titel schon sagt, ein Buch der Geschichten. Dass Scheherazade damals unter einem Wahnsinnsdruck ihre Märchenflut produzierte, macht den Kontrast zu den Geschichten von morgen nur noch klarer: erlebt und erdacht werden sie in einer Freiheit, von der noch die Freiesten unter uns bloß träumen können. Ein Schriftsteller, wie man sieht, kann es und denkt sich eine solche Konstruktion aus.
Und kann nicht anders, als direkt weiterzudenken. Kein Paradies, keine noch so erfüllte Utopie ohne wurmstichige Stellen.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/ilija...t-92515566.html
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