Laurent Mauvignier: Geschichten der Nacht
Laurent Mauvigniers so schneckengleicher wie spannender Roman „Geschichten der Nacht“
Ein „Thriller in Zeitlupe“, wie soll man sich den vorstellen? Nun, wenn man dann das erste Dutzend Kapitel gelesen hat von Laurent Mauvigniers „Geschichten der Nacht“ (Orig. „Histoires de la nuit“, 2020), versteht man, wie das geht: ins Detail. Und das aus dem Blickwinkel jeder der (wenigen) Figuren dieses Romans. Da sind Marion und Patrice Bergogne, er ist Bauer, sie arbeitet in einer Druckerei. Sie haben ein Kind, Ida. Da ist im Weiler La Bassée ihre Nachbarin Christine, eine Malerin, die aber nicht gern redet über Malerei oder Kunst. Dafür fühlt sie sich inzwischen fast wie Idas Großmutter, Ida sagt Tatie zu ihr und liebt auch Christines Hund, Radjah. Vier Menschen leben im abgelegenen La Bassée, das dritte Haus in der Nähe steht leer, zum Verkauf.
Da sind dann noch, aber erst nach dem ersten Dutzend Kapiteln, drei Brüder, Denis, Christophe und Bègue, die wegen einer Abrechnung bei den Bergognes auftauchen, die Denis, der Älteste, glaubt, mit Marion zu haben. Die Sache soll nicht blutig enden, eigentlich, aber sie tut es.
Alles passiert am Tag von Marions 40. Geburtstag. Ein Tag der Erinnerung und Reflektion, das auch; ein Tag aber auch, an dem es mal wieder entspannt und freudig zugehen soll (hofft Ida). Außerdem ein Tag, an dem Patrice es Marion besonders schön machen möchte. Er weiß, dass er nochmal dicker geworden ist seit letztem Jahr, sein wabbeliges blasses Fleisch stößt ihn ab. Er kann nicht fassen, dass er diese schöne Frau hat, die freiwillig mit ihm und seinen Kühen im Nirgendwo lebt. Er ahnt, dass sie eine Vergangenheit hat, aber genau wollte er es nie wissen und Marion hat nichts erzählt.
Laurent Mauvignier, geboren 1967 in Tours, hat Bildende Kunst studiert, 1999 erschien sein erster Roman. Er nimmt sich alle Zeit der Welt in „Geschichten der Nacht“, alle Zeit, von der in Gewohnheit und Routine ersoffenen Ehe der Bergognes zu erzählen – immer wieder auch aus der Perspektive des Kindes. Er nimmt sich alle Zeit, von der Abneigung Christines gegen Marion zu erzählen und von Christines jüngster Arbeit, einer „roten Frau“. Alle Zeit, Patrice durch diesen Tag von Marions Geburtstag zu folgen, der das Wohnzimmer schmückt, einkauft, Kalbsbries und auch Champagner, der zu einer schwarzen Prostituierten geht, nicht zum ersten Mal, der sich schämt. Wütend ist und wieder schämt.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/roman...d-92524935.html
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