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RE: Im Herzen des Seins

#1 von Karl Ludwig , 28.05.2018 13:02

In letzter Zeit lese ich ständig über dieses ominös-organische Artefakt, ohne zu wissen, was damit wohl gemeint ist. Klar, jemand könnte mir vorhalten, dass ich es doch selber war, der andauernd davon schrieb, was aber keineswegs bedeutet, was auch immer es bedeuten könnte.

Hier ist experimentelle Grundlagenforschung angesagt.

Zunächst einmal die Theorie: Wenn es imaginäre, irrationale und irreale Zahlen gibt, und alles Zahl ist, wie der olle Pythagoras vermeldete, dann gibt es auch einen imaginären, irrationalen und irrealen Raum, in dem das Herz des Seins schlagen könnte.

Nur, wie komme ich dahin. Bestimmt nicht zu Fuß. Also imaginär, völlig irrational irreal. Und wie mag das Teil wohl aussehen? Mechanisch, wie eine Herz-Lungenmaschine oder pulsierend blutig, wie bei den Azteken, wenn Quitschiquatschel es verlangte? Mehr geschönt, wie in unbekümmerten Poesieheftchen mit Liebesherzchen und Pfeil. Ich meine ja nur. Das mit der Unbekümmertheit hat mich nämlich immer schon bedrückt. So ein Amorpfeil ist ja auch bloß ein Metapher. Und aus Erfahrung weiß ich, dass speziell dieses Metapher eine nur kurze Halbwertszeit hat, aber tiefe Wunden hinterlässt.

Das Herz des Seins aber müsste mindestens so lange sein wie das Sein selbst. Gut und logisch. Also müsste unser Universum unter Kontraktionen und Expansionen schwanken. Vielleicht können die Astrophysiker deswegen auch nicht herausfinden ob das Ding nun implo- oder explodiert. Weil es mal so und mal SO rüber kommt.

Ist es das? Ist das Herz des Seins bloß ein Metapher? Aber v = H ? r hört sich doch toll an. So toll, dass man sich inzwischen weitgehendst auf Explodieren geeinigt hat, – bis zur nächsten Formel.

Auch Metapher müssen existieren, Platz hat es ja jede Menge. Ich schnappe mir also ein Wurmloch hinter der nächsten Schwarzschildsingularität, erwische auch gleich die narrative Aorta zum Herzen des Seins und lande in einem Vorhof. Hier wird kein Blut gepumpt, wie ich erleichtert feststelle, nein, hier wird pure Inspiration erzeugt und richtungslos in alle Richtungen geschmissen. Hm. So also entstehen Planeten, ganze Milchstraßen und meine Geschichten. IsJaSupie!

Langsam schlendere ich zur Hauptkammer. Die Wände könnten den Leser seekrank machen, also beschreibe ich sie nicht weiter, nur so viel sei verraten: Eine Makrele mit Schaumkuss ist Nix dagegen, selbst wenn man sie mit panierten Ölsardinen dekoriert.

Bücherrücken blicken mir neugierig entgegen, an Wänden wie von Escher gezeichnet und in Regalen, die in der Ferne verschwinden; eine Zumutung deutet an, dass sie sich bis in die Unendlichkeit erstrecken. Und natürlich lungert da ein Bibliothekar, der mir wohlwollend entgegenblickt. Dass dieser Bibliothekar ein Orang Utan ist, sollte niemanden verwundern, denn den habe ich mir von „Sir Terence David John Pratchett“ ausgeliehen, was auf einen gewissen Stil hinweist.

Er hält mir ein Buch entgegen: 'Tagebuch von Karl-Ludwig'. „Gerade erst habe ich diesen Satz geschrieben, dass Du zur Hauptkammer schlenderst und schon tauchst Du hier auf.“

„Und wo nun exakt?“

„Wie gefordert. Im Herzen des Seins. Hier werden die Tagebücher geschrieben, die den Leuten so passieren.“

„Bitte? Erst werden sie hier geschrieben und dann von den Menschen kopiert?“

„Ja, ungefähr so, wenn man alle Lügen in den menschengeschriebenen Tagebüchern auf Null setzt.“

„Kannst Du mal etwas von Groupies in rauen Mengen und ganz viel Geld schreiben?“

„Klar.“ (Schreibt:) … und bekam nie Groupies in rauen Mengen ab, genau so wenig wie viel Geld.

„Du Arsch!“

(Schreibt:) Dann nahm er ein Stück Seife vom Boden auf und wusch sich den Mund.

(Schäumend:) „Du Riesenarsch.“

(Schreibt:) Dann wollte er sich kopfüber in ein Fass mit Salzsäure schmeißen, aber es wurde ihm Gnade zuteil und es war bloß ein Fass mit Stockfish, lauwarm.

„Ja, ja. Bah! Spuck. Stink. Ich glaube Dir ja. Du bist toll, prima, ehrlich, astrein, allererste Sahne ...“

Der Affe klappt mein Tagebuch zu und zwinkert mir zu: „Inoffiziell? Keine Notizen?“

„O.K. Frieden um die Waffen zu warten.“

Das Herz des Seins ist im Prinzip nur eine Bücherei. Hier kann man die verlorenen Anmerkungen zum Lachen von Aristoteles (Die Poetik) wiederfinden. Hier sind die Meisterwerke längst vergessener Meister zu finden. Shakespeares Wintertagerwachen, Apokrypten aus Alexandria, Bambusblätter mit runenähnlichen Zeichen einer untergegangenen Hochkultur, Yetis Tagebuch (Örk! Granuffel. Schlorch.), Elke Heidenreichs post Mortem Bücherempfehlungen (Tibetanisches Totenbuch, Marcel Reich-Ranickis gesammelte Kritiken) Hemmingways verschusseltes Manuskript … Auch die Tagebücher von diesem Tachelesverein stehen hier herum. Und Reiseberichte aus Atlantis, El Dorado sogar dem Garten Eden.

Hier befindet sich auch das Hauptbuch. Hier wird es geschrieben. Von einem Affen. Na toll! Warum nur bin ich nicht überrascht?

Hier hat es teilweise Bücher, die erst noch geschrieben werden müssen, also nichts anfassen wegen der Zeitdilatation. Auch auf keine Käfer treten, es könnten die eigenen Vorfahren sein. Hier soll es auch einen Bücherwurm geben, Kaliber 36, der so schnell nagt, dass er am Ende des Regals von der Wand abprallen würde. Nur hat das Regal gar kein Ende. Er dürfte im Prinzip zur Zeit nicht mehr in der Nähe verweilen. Aber Zeit. Was ist das schon?

„Ich hatte in dein, na, eher Traktat als Lebensbuch, geschrieben, dass du Abenteuer bestehen musst, wie jeder Held.“

„Bitte?“

„Nun, Helden durchlaufen gewisse Prozesse bevor sie zu Helden werden. Drachen zu töten ist ihnen ein beliebtes Machospielchen. Ich weiß zwar, doch bei aller Inoffiziellheit, das Ergebnis darf ich dir wirklich nicht verraten.“

„Moment. Ich habe es bis zum Herzen des Seins geschafft. Das ist mir ausreichend heldenhaft!“

„So aber steht es geschrieben.“ Eine aufleuchtende Supernova zögert keinen Moment, diese Worte lautstark zu illuminieren.

„Bekomme ich wenigstens ein magisches Schwert oder so?“

„Was willst du denn mit einem magischen Schwert?“

„Na gut. Und eine Salbe, die unverwundbar macht?“

„Drachenblut, aber erst hinterher. Wenn man genauer darüber nachdenkt, könnte man annehmen, dass noch ein wenig am Detail gefeilt werden sollte. Egal. So steht es jedenfalls in den Statuten.“

„ … unsichtbar?“

„Du würdest doch nur überall gegen laufen.“

„Finde ich Gefährten, Helfer, Knappen?“

„Verlasse dich nicht darauf. Verlasse dich eher auf das Gegenteil, dann kannst du nicht enttäuscht werden.“

„Wo geht es lang?“

„Wo du willst.“

„Was muss ich tun?“

„Was dir einfällt. Hier hast du etwas Wegzehrung.“

„Eine Banane?“

Und so fand ich den Weg zurück aus dem Herzen des Seins. Der Drache hieß Fiffi und war mehr ein Molch. Er sträubte sein Gefieder, wechselte die Farben und verschmolz mit dem Hintergrund. Nur sein selbstgefälliges Grinsen verweilte noch einige Zeit, aufgrund des alt (seit 1865) bekannten Carroll-Effekts.

Morgen mache ich mich auf die Suche nach dem Arsch des Seins. Da muss ich nicht so weit laufen.


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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RE: Im Herzen des Seins

#2 von Sirius , 28.05.2018 20:22

Wenn ich es also richtig verstanden habe, dann schreibt ein Affe für ein Teesieb die Geschichten, die es daraufhin erlebt?
Für mich hat mal ein Schmetterling ein Gedicht auf einem Teeblatt geschrieben, und ich Trottel dachte, ich hätte das geschrieben und wollte die Tantiemen in Form von zwei Pfund Minze einkassieren, aber da hat der Schmetterling mich verklagt, aber das gehört hier nicht her, weil es deine Geschichte ist aus dem Herzen des Seins. Für mich gibt es nur eine alte Papierrolle in einer Bibliothek in Neu-Dehli, auf der steht mein ganzes Leben einschließlich meines ungalanten Abgangs.

Und „Tachelesverein“ nehme ich dem Affen persönlich übel!
Mein mit Drachenblut gesäuerter Held, schwebt mal eben durchs Universum und lässt sich von einem Affen das Tagebuch scheiben, das klingt ja fast wie ausgedacht, wenn da nicht die ganzen hübschen Phantasie-Partikelchen wären aus uns Deppen unbekannten Dimensionen, die unsere Drüsen befeuern, wie wir gelernt haben.
Und sucht auch noch einen Kumpel für unterwegs, einen gepanschten Sancho oder Hein Mück oder gar Igor, der Bucklige.
DAS sind doch Geschichten, die man lesen will und alle werden bedient. die Träumer und Fischesser, die Sternenjäger und Primaten, die Märchenfreunde und Astrophysiker.
Also praktisch der ganze Tachelesverein.

Ich persönlich habe über die Banane als Wegzehrung am lautesten gelacht. Und der Schlusssatz ist göttlich! Großartig, Karl-Ludwig, ein unbedingtes Lesezeichen!

Sirius


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