Wie die Politik manchmal neue Wörter erfindet
Wir alle lieben schöne Wörter und grämen uns, wenn sie aussterben. Aber wer erfindet eigentlich neue Wörter? Die Dichter – sagen die Dichter. Wissenschaftler haben etwas ganz anderes ausgezählt.
D er Schriftsteller David Grossman hat einmal geschildert, wie ein einziges neues Wort den Geisteszustand eines ganzen Landes verändern kann: „Bis Anfang der Sechzigerjahre sind wir Israelis nie frustriert gewesen. Einfach, weil es das Wort ,frustriert‘ nicht gab.“ Man kann diese retrospektive Feststellung gewiss auf fast alle anderen Länder übertragen, weil frustriert erst durch das Psychogeschwätz des genannten Jahrzehnts zum internationalen Modeausdruck geworden ist. Die Französin Claire Bretécher hat konsequenterweise ihr vielbändiges 68er-Generationenporträt in Comicform „Les frustrés“ genannt – „Die Frustrierten“.
Grossman beschreibt, wie die Akademie der hebräischen Sprache das neue Wort mit „tis’kul“ übersetzte, und das ganze Land es sofort allgemein annahm: „Die Israelis waren so froh, endlich frustriert sein zu können.“ Plötzlich gab es ein Wort, das die emotionale Bandbreite gegenüber etablierten Begriffen wütend, enttäuscht oder bitter ein wenig erweiterte. Offensichtlich waren Bürger Israels mit dieser Freude weltweit nicht allein. Frustriert drang in kürzester Zeit in fast alle Sprachen des Westens ein.
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