Bücherlesen
Bücherlesen ist vonnöten,
soll euch nicht die Dummheit töten:
Wer nicht gerne Bücher liest,
ist für mich ein blödes Biest!
Bücherlesen, liebe Leute,
nicht erst morgen, sondern heute!
Heute gilt's, den Kopf zu füllen,
daß nicht laut vor Lachen brüllen
alle Affen hier im Zoo
über euren Kopf voll Stroh:
Stroh soll raus und Wissen rein,
das gilt nicht für euch allein,
sondern klar für jedermann,
der das Alphabet schon kann.
Ohne Bücher seid ihr Tröpfe,
sogar Holz- und Wasserköpfe!
Nur durch Bücher wissen wir:
Warum gibt es Menschen hier?
Denn kein Schaf gibt euch Bescheid,
keine Katze ist bereit,
Menschenkinder zu belehren,
die nicht auf die Bücher hören.
Hühner, Enten, Spatzen, Spechte
wissen leider nicht das Rechte,
was für Menschen wichtig wär.
Also: Nehmt die Bücher her,
Lest und werdet sacht gescheit,
daß ihr einst die Klügren seid.
Günter Kunert
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Was ist das denn für eine tolle Rubrik, lieber Sirius? Ich komme gar nicht nach damit, all diese wunderbaren Beiträge zu lesen. Tacheles ist für mich eine sehr reiche und inspirierende Kleinod- Sammlung.
Guts Nächtle
Ännchen
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Ganz herzlichen Dank, liebes Frollein!
Letteritis
Ganz plötzlich wird es Dir bewußt:
Erkrankt ist Deine Leselust!
Nach welchem Buche Du auch faßt,
Keins, das zu Deiner Stimmung paßt!
Du gibst nicht hin – es gibt nichts her:
Bald ists zu leicht, bald ists zu schwer.
Mit leerem Herzen und Verstand
Starrst Du auf Deine Bücherwand:
Die altbewährte, edle Klassik
Ist Dir auf einmal viel zu massig
Und über die moderne Lyrik
Denkst Du schon beinah ehrenrührig.
Der Reißer selbst, in dessen Flut
Du sonst gestürzt voll Lesewut,
Wirft heut Dich an sein Ufer, flach;
Dein Drang zur Wissenschaft ist schwach;
Und das gar, was sich nennt Humor,
Kommt Dir gequält und albern vor.
Geduld! Laß ab von aller Letter!
Es wird sich ändern, wie das Wetter:
Schon morgen, unverhofft genesen,
Kann Du dann lesen, lesen, lesen!
Eugen Roth (1895-1976)
Reset the World!
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Ich glaube, man sollte überhaupt nur
solche Bücher lesen, die einen beissen
und stechen.
Wenn das Buch, das wir lesen, uns nicht
mit einem Faustschlag auf den Schädel
weckt, wozu lesen wir dann das Buch?
Damit es uns glücklich macht, wie du
schreibst?
Mein Gott, glücklich wären wir eben
auch, wenn wir keine Bücher hätten,
und solche Bücher, die uns glücklich
machen, könnten wir zur Not selber
schreiben.
Wir brauchen aber die Bücher, die auf
uns wirken wie ein Unglück, das uns sehr
schmerzt, wie der Tod eines, den wir
lieber hätten als uns, wie wenn wir in Wälder
vorstoßen würden, von allen Menschen
weg, wie ein Selbstmord, ein Buch muss
die Axt sein für das gefrorenen Meer in uns.
Franz Kafka
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Meine Bücher
von Ernst Preczang
Wo ich hinblicke in meiner Stube, grüßt ihr mich,
Stille Kameraden grübelnder Einsamkeit:
Proletarier im verschlissenen Pappgewande,
Aristokraten im schützenden Lederpanzer,
Bürger im farbigen Leinenkleid.
Bunt steht ihr um mich her: in Grau, in Gelb, in Grün,
Blau flammen die einen, tiefrot die anderen glühn.
Die einen tun sich dick und gewichtig,
Andre verstecken sich mager und nichtig;
Die einen sind in die Höhe geschossen,
Die andern in die Breite geflossen —
Alle aber stehn stumm und geruhig bereit:
Wir warten auf dich, wir haben Zeit.
Ja, es kommt schon ein Tag oder eine Nacht,
Wo ihr Stummen zu sprechendem Leben erwacht,
Wo die Seele, auf deine Note gestimmt,
Dich, du blaue Flamme, vom Brette nimmt;
Wo sie dich, du grünes Wunder, begehrt,
Mit dem grauen Kameraden zur Tiefe fährt,
Oder dich, du blutrote Hoffnung, trinkt
Und sich auf zu den singenden Sternen schwingt...
Stumm? Wer sagt es. Ihr seid es nicht.
Ihr klagt, ihr weint, ihr lacht und ihr schreit.
Ewige Wahrheit redet mit ernstem Gesicht,
Und aus grollendem Munde donnert die Zeit.
Freunde, aus menschlichen Herzen geboren,
Gegen Torheit und Willkür verschworen,
Feurige Schwerter für Freiheit und Recht —
Menschen und Kämpfer, ihr sprecht, ihr sprecht!
Welten kreisen in meiner Stube umher.
Ich war einmal einsam. Bin's längst nicht mehr.
Es gastete manche Seele bei mir,
Aber die einzig Treuen seid ihr.
Eure Wahrheit, sie biegt sich nicht,
Euer Friede bekriegt sich nicht,
Euer Herz schlägt mit gleichem Schlag
In meine Nächte, in meinen Tag.
Brot meiner Seele! Wie reich bin ich.
Wo ich hinblicke in meiner Stube, grüßt ihr mich.
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Drei Arten Gedichte aufzuschreiben
Hilde Domin
Ein trockenes Flussbett
ein weißes Band von Kieselsteinen
von weitem gesehen
hierauf wünsche ich zu schreiben
in klaren Lettern
oder eine Schutthalde
Geröll
gleitend unter meine Zeilen
wegrutschend
damit das heikle Leben meiner Worte
ihr Dennoch
ein Dennoch jedes Buchstabens sei
2.
Kleine Buchstaben
genaue
damit die Worte leise kommen
damit die Worte sich einschleichen
damit man hingehen muss
zu den Worten
sie suchen in dem weißen
Papier
leise
man merkt nicht wie sie eintreten
durch die Poren
Schweiß der nach innen rinnt
Angst
meine
unsere
und das Dennoch jedes Buchstabens
3.
Ich will einen Streifen Papier
so groß wie ich
ein Meter sechzig
darauf ein Gedicht
das schreit
sowie einer vorübergeht
schreit in schwarzen Buchstaben
das etwas Unmögliches verlangt
Zivilcourage zum Beispiel
diesen Mut den kein Tier hat
Mit-Schmerz zum Beispiel
Solidarität statt Herde
Fremd-Worte
heimisch zu machen im Tun
Mensch
Tier das Zivilcourage hat
Mensch
Tier das den Mit-Schmerz kennt
Mensch Fremdwort-Tier Wort-Tier
Tier
das Gedichte schreibt
Gedicht
das Unmögliches verlangt
von jedem der vorbeigeht
dringend
unabweisbar
als rufe es
"Trink Coca-Cola"
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Stüwe, Rüdiger: Im Buchladen
Im Buchladen
Erschnüffel Trüffel Büchernase
wie ein Wildschwein mit Gespür
gase gase ohne Pardon bei Affenberg
und Bohlen von verweile nicht
wo Märchen stehn und Politik
sich drängelt dicht an dicht mit
dem ehrlichen Gesicht verzinkt
und zugeklebt steh langsam stille
hier nahn sich sanftre Töne
Wellness Lebenshilfepille
da sind die Dichter nicht mehr weit
in der Tat am Anfang war das Wort
und Goethes Herrlichkeit schimmert blau
vom letzten Bord ganz unten
neben Rilke, Ringelnatz und Rau
der steht zwar nicht ganz richtig
fremd wie Der Blaue Boll? er macht
das dünne Dutzend aber voll:
nicht mal nen halben Meter Lyrik
im Regal und fast alles anno dunnemal!
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Literatur
Worte schreiben
nach denen man
nicht mehr weiter
leben kann wie bisher
und dann doch weiterleben
fast wie bisher
Ist das Mut
oder waren das Lügen?
Worte schreiben
an denen man
stirbt
und an ihnen
doch nicht sterben
oder doch nicht sofort
Ist das Lebenskraft
oder ist das Schwäche?
Nichts als Leben und Sterben
Nichts als Worte
Nichts als Schreiben
Nichts weiter als immer weiter?
(Volker Konkoreit, Klaus Wagenbach (Hrsg.): Erich Fried - Gesammelte Werke Bd. 2. Berlin: Verlag Klaus Wagenbach 1993)
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Die Bibliothek
Bücher stehn um dich herum:
große, kleine, dünne, dicke,
alte, neue, pow're, schicke,
stehn herum und warten stumm,
bis die Leiter du erklimmst
und dann einem dieser Tiere
etwas geistige Wagenschmiere,
jeweils nach Bedarf, entnimmst.
Während aber allgemein,
wo ein Vorrat sich befindet,
dieser durch Konsum verschwindet,
pflegt es hier nicht so zu sein.
Wie der Ranft des Hutzelmanns,
wie der Ölkrug zu Sarepte,
der stets aus dem vollen lebte,
bleibt ein Buch intakt und ganz.
Ist das nicht ein schöner Brauch?
Drum, o Mensch, steck' deine Gelder
in gedruckte Geistbehälter
und die Nase möglichst auch!
Hans Erich Blaich - "Dr. Owlglass"
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Wer das Buch nimmt, nimmt das Ding,
das so heißt, auf Papier gedruckt und in
Leinwand oder Leder oder Pergament
gebunden, mit dem Gefühl einer stillen
Vertrautheit in die Hand. Er empfindet
es wie ein Geschöpf, das man in Ehren
hält und pflegt, und an dessen Leibhaf-
tigkeit man sich freut. Es ist ihm nicht
nur Mittel zu einem Zweck, und sei es
der geistigste, sondern etwas. Das in
sich rund und voll ist, von vielerlei Be-
deutungen gesättigt und fähig, reich zu
spenden. Liebe zum Buch hat jener, der
abends in seinem Zimmer sitzt, und es
ist still geworden – vorausgesetzt frei-
lich, dass es um ihn, den Glücklichen
dann wirklich still ist – und auf einmal
sind ihm die Bücher im Zimmer wie
lebendige Wesen.
Romano Guardini (1885-1968)
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Das Buch
Ein Buch ist einmal so blöd gewesen,
das hat begonnen, sich selbst zu lesen.
Da ist es als erstes Buch von allen
vor Schreck aus dem Regal gefallen.
Jetzt hat es das Niveau erreicht,
der in etwa seinem Inhalt gleicht.
Miriam Francis
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Rudolf Hartung
Weiß man nicht
Eigentlich weiß man ja nicht warum
man Gedichte schreibt: Wörter sucht
und verwirft den Rhythmus drosselt oder
beschleunigt wie der Autofahrer das Tempo
dieses Ding zur Anschauung bringt und ein
andres zurücknimmt weiß man nicht warum
man Stunden und Tage opfert.
Während man geduldig oder verzweifelt
sucht was man nicht kennt und was
niemanden frommt während andere
nützliche Arbeit verrichten in Büros und am
Fließband – weiß man nicht anachronistischer
Alchimist nach welchem Golde
man forscht und dennoch weiter-
experimentiert bis man schließlich
aufhören darf wenn am Ende
Grund und Figur ihren gerechten
Anteil haben im Text und man beim letzten
Darübergehen an keiner
Stelle mehr einbricht.
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Kommt der Abend, ziehe ich mich in
Meine Behausung zurück.
Ich betrete mein Studierzimmer.
Anständig gekleidet gehe ich
In die altertümlichen Hallen der Vorzeit.
Wohlwollend dort empfangen,
Erquicke ich mich an jener Kost,
Die mir allein zusagt
Und für die ich geschaffen bin.
Ich schäme mich nicht,
Mit den Alten umzugehen
Und sie über die Beweggründe ihrer
Handlungen zu befragen.
Sie sind so gütig, mir zu antworten,
Und vier Stunden hindurch
Verspüre ich keine Langeweile.
Ich vergesse alle Leiden.
Niccolö Machiavelli (1469-1521)
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Ich kenne nichts auf der Welt, das eine solche Macht hat, wie das Wort.
Manchmal schreibe ich eines auf und sehe es an, bis es beginnt zu leuchten. (Emily Dickinson)
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Der Dichter ist überhaupt nicht einzureihen, sein einziger Zweck ist, sich
selbst zu überraschen. Das Gedicht muss nicht verstanden werden, die
Sprache, in der ein Gedicht geschrieben ist, muss nicht verstanden werden,
denn das Gedicht wirkt durch sein Dasein. Es drehen sich Mühlen. Es
rauscht ein Baum. Es besteht ein Gedicht.
Alfres Marnau
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