Ich habe den Stoff. Das ist viel, und es ist fast nichts. Wie kann ich ihn
praktizieren? Im Gedicht. Am besten im Gedicht. Es ist am sinnlichsten,
am unmittelbarsten. Auch könnte ich ein Gedicht wohl am schnellsten
schreiben.
Das Thema muss unter die Leute.
Wolfgang Weyrauch
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Warum schreiben Sie überhaupt Gedichte?
Weil das Gedicht diejenige literarische Form ist, die am strengsten zum
Aussparen und Weglassen zwingt. Weil das Gedicht Formeln verlangt,
und weil ich mir im Suchen nach diesen Formeln Klarheit verschaffe,
weil ich im Gedicht ohne Umschweife mein Thema anpacken kann. Weil
ich meine Erinnerungen nicht verlorengehen lassen möchte. Weil ich
meine Unruhe fixieren will. Weil nur das Gedicht mir die Möglichkeit
gibt, meine Angst einzudämmen, mich von Bildern zu befreien, die mein
Bewusstsein blockieren.
Wolfdietrich Schnurre
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Poesie wie Brot? Dieses Brot müsste zwischen den Zähnen knirschen und
den Hunger wiederwecken, ehe es ihn stillt. Und diese Poesie wird scharf
von Erkenntnis und bitter von Sehnsucht sein müssen, um an den Schlaf
der Menschen rühren zu könne. Wir schlafen ja, sind Schläfer, auch Furcht,
uns und unsere Welt wahrnehmen zu müssen.
Ingeborg Bachmann
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Ansprache eines Bücherwurms
Der Kakerlak nährt sich vom Mist,
Die Motte frisst gern Tücher,
Ja, selbst der Wurm ist, was er ißt.
Und ich, ich fresse Bücher.
Ob Prosa oder Poesie,
Ob Mord, ob Heldentaten,
Ich schmause und genieße sie
Wie einen Gänsebraten.
Ich bin ein sehr belesner Herr,
Nicht wie die andern Viecher!
Dass Bücher bilden, wollt auch ihr,
Und ich – ich fresse Bücher.
Die Nahrung, sie behagt mir wohl,
Verleiht mir Grips und Stärke.
Was andern Wurst mit Sauerkohl,
Das sind mir Goethes Werke.
Ich fraß mich durch die Literatur
So mancher Bibliotheken,
Doch warn das meiste, glaubt es mir,
Bloß elende Scharteken.
Das Bücherfressen macht gescheit,
So denken sichs die Schlauen.
Doch wer zuviel frisst, hat nicht Zeit,
Es richtig zu versauen.
Drum lest mit Maß, doch lest genug,
Dann wirs euch wohl ergehen.
Bloß Bücher fressen, macht nicht klug!
Man muss sie auch verstehen.
Mascha Kaleko
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Mit einem Buch
sich immer weiter aus der Welt
herantasten heraustexten
Erst die Fenster verdunkeln
dann das Gesicht vor allem die Augen
die nicht auf dem Weg sind
als sei niemand zu Hause
Dunkel und still Innen aber
erleuchtete Fenster und wie
einer mit dem Leben davonkommt
die letzte Seite glatt überflügelnd
Ulla Hahn
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Sonett an die Form
Fäden, so zart, doch machtvoll ausgesendet
Vom Blütenduft zu einer Blüte Rand,
So wie der sonst unsichtbare Brillant,
Von eines Ringes Rund umspannt, uns blendet.
Der Phantasie Gestalten: hergewendet
und dann - gleich eilen Wolken - fortgesandt,
Leben Jahrhunderte, in Stein gebannt,
In einen Satz, geschliffen und vollendet.
Und ich, ich wünsch, daß alle meine Träume,
Zur Welt gelangt im flügelnden, im Wort,
Die Fäden fänden, die ersehnten Räume.
So seist du, Freund - leg nicht die Zeilen fort -
Berauscht vom Wohllaut, der die Verse füllt,
Und von der Lettern ruhig schönem Bild.
Waleri Brjussow
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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Hallo
Im Fernsehen
gibt es noch
Familienabende.
Gibt es ein Hoch
und ein Tief.
Das Hundegebell
verrät nicht,
was es weiß.
Die Bücher
erbitten
andere Leser.
Die Abwesenheit
von allem
nimmt zu.
Sterbenswörtchen
gehen auch
zur Neige.
Hallo. Hallo.
Peter Hamm
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Das Buch
Der Erste schreibt es,
Der Zweite vertreibt es,
Der Dritte verschmäht es,
Der Vierte ersteht es,
Den Fünften entflammt es,
Der Sechste verdammt es,
Der Siebente schätzt es,
Der Achte versetzt es,
Der Neunte verpummt es,
Der Zehnte verlummt es,
Der Elfte vergräbt es,
Der Zwölfte verklebt es
Zu Tüten, denn im Krämerladen
Da kommen sie schließlich
Alle zu Schaden!
Heinrich Seidel
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Eines Tages las ich ein Buch und mein ganzes Leben veränderte sich. Auf den ersten Seiten schon bekam ich die Kraft dieses Buches innerlich so stark zu spüren, daß ich glaubte, mein Körper habe sich von Tisch und Stuhl, wo ich saß, gelöst und abgehoben. Aber trotz dieses Gefühls schien ich fester als eh und je mit meinem ganzen Sein und allen Fasern meines Körpers auf dem Stuhl am Tisch zu sitzen, und das Buch bewies seine ganze Wirkung nicht nur in meinem Geist, sondern in allem, was mich zu mir selbst machte. So kraftvoll war die Wirkung, daß ich meinte, mir sprühe beim Lesen aus den Seiten dieses Buches Licht entgegen, ein Licht, das meinen Verstand vollkommen stumpf und im gleichen Moment überaus glänzend werden ließ. Und mir kam der Gedanke, ich würde neu und anders werden in diesem Licht, und ich ahnte, es würde mich auf einen anderen Weg führen, dieses Licht, und ich nahm in diesem Licht die Schemen eines Daseins wahr, das ich später kennenlernen, mit dem ich vertraut sein würde.
Orhan Pamuk
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