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RE: Schlaflos in Burgdorf

#1 von Karl Ludwig , 24.08.2018 08:00

Sirius schrieb in einem Kommentar: 'Hast du ein Glück, dass das keine Fahrradkette war.' Darauf muss ich unbedingt antworten, denn fast alles, was mir passiert ist keine Fahrradkette.

Besonders jetzt gerade um Mitternacht. Die Stunde, in welcher der Geist der Vergangenheit bei dem Sünder an die Tür klopft. Und der der Zukunft, ach Herrjemine, ja, und der der Gegenwart auch, also alles ziemlich gruselig, wie ein kleines Mädchen dazu sagen würde, um ihre Empfindsamkeit allem Übel gegenüber zu betonen.

Ich bin mir sicher, ein jeder hier kennt Vergleichbares. Manchmal ribbelt das Leben den schützenden Kokon auf, den wir alle mit dummen Erklärungen und ritualisiertem Denken um uns herum gesponnen haben.

Ich bin kein sensibles Mädchen mit Husch. Ich bin ein sensibles Kerlchen mit Husch: „Herein mit euch!“

Die drei Schemen kommen durch die geschlossene Tür und umschweben mich wie verrückte Erlkönige.

Sie fangen auch sofort an zu plappern. Was erzählt denn da der Geist der Gegenwart? Er wäre gar nicht froh. Er möchte endlich entgiften. Von den Schmerzmitteln, die ich während der Plackerei vom Umzug schluckte, um dazu überhaupt in der Lage zu sein. Deswegen nämlich könne ich heute Nacht auch nicht schlafen. Nicht nur wegen harmloser Mimikry (Dazu später klärende Erläuterung): Ich dosiere gerade von acht Kapseln Schlafmohn täglich (Das beste Schmerzmittel, das es gibt) runter auf drei. Als ob das etwas bringen würde. Schon reagiert mein Metabolismus hysterisch. Gerade habe ich mir nochmal drei Kapseln in den Topf geworfen. In einer Stunde gibt es etwas Tee und mein Gewissen wird sich vertagen.

Mein ungebetener Geist der Zukunft flüstert: „Karlchen und Drogen. Eine endlose Geschichte. So richtig interessant wird es doch erst, wenn du eine Woche lang kein, absolut kein, wie auch immer geartetes Zentralnervensystem manipulierendes Opioid zu dir genommen hast. O.K. Kiffen ist gestattet. Wann fängst du damit an?“

„Mit Kiffen? Sofort!“

Der Geist der Vergangenheit schüttelt nachdenklich den Kopf: „Du hast dir das Zeugs eingepfiffen, als du jung gewesen bist, als du älter, als du noch älter, und als du alt wurdest. Nur so zum Spaß. Seltsam. Hast du nicht manchmal das drückende Gefühl, damit ein großes Schicksal verhindert zu haben? Dir damit so ziemlich die Zukunft versautest?“

„Ja, manchmal juckt es mich ein wenig dort, wo andere sich blutig kratzen. Phantomkribbeln nenne ich das. Was bringt denn ein 'großes' Schicksal? Man sollte vor dem unvermeidbaren Ende möglichst oft über diese Welt, die Mitmenschen, überhaupt und unbedingt über sich selber laut lachen.“

Der Präsensspuk kichert: „Jetzt, im Alter hast du echte Schmerzmittel manchmal wirklich nötig, gelle? Und ohne wird alles so langweilig und schwer. Tja. Hast du etwa gedacht, Mensch zu sein wäre einfach und nur lustig? Besonders wenn man unverdienter Maßen so lange überlebt wie du.“

„Nur 'lustig' geht ja wohl kaum. Aber man kann sich ja Mühe geben um nicht angesteckt zu werden, von diesem: Es ist nie genug. Ach, geht einfach weg und mir nicht auf den Geist. Ich bereue nichts! Meistens! Und JA! ich bin unmöglich, und hör mal, du Zukunftsgeist, ich weiß doch ganz genau, worauf das Ganze hinausläuft. Da kannst du mir wahrlich nicht mit kleineren Weh-Wehchen drohen. Einen Entzug von nur einigen Tagen halbmissbräuchlicher Nutzung bringt mich wahrlich nicht aus der Ruhe. Und wenn ich schon mal dabei bin, mein liebes Gegenwart-Phantomchen, hast du etwa einen besseren Vorschlag, sich irgendwie in einer Welt der Illusionen und Dummheit einzurichten? Wenn ich mich so umsehe, habe ich oft dass Gefühl, alle andern Menschen wären ziemlich verpeilte Leute und ich hätte ein beneidenswertes Leben, so als gläubig-subversiver, faulpelzender, ehrgeizloser Zweifler. Viele derer, die es besser machen als ich, haben mir schon versichert, dass ich es richtig mache. Richtiger jedenfalls als sie selber und dann fangen sie an zu klagen: Job, Frau, Kinder, Verantwortung, verlorene Freiheit usw.

Thema-fremdes Intermezzo als Standartantwort: „Ach komm. Sobald die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, wird dir deine Frau vorwerfen, dass sie ihr Geld nie selber verdienen durfte. Dann versucht sie Selbstverwirklichung in grellbunten Wollsocken ohne Fußteil, lässt sich scheiden, und dann, hoho, dann darfst du endlich auf einer Indian Bullit durch Asien brettern, falls du noch kannst. Habe ich auch alles hinter mir. Insgesamt 20 Jahre Familie und Funktionieren. Stillstand der privaten Entwicklung, Freiheit oder was weiß ich. So wie es auch sein soll. Nur mit dem Unterschied, dass ich das Brettern durch ferne Länder vorher erledigte. Und das auch zu Zeiten, als man noch unbeschadet mit öffentlichen Verkehrsmittel dritter Klasse über Land nach Fernost juckeln konnte. Na und? Hinterher bin ich genau so tot wie du.“

Nun ist es 6.00 Uhr. Den größten Teil der Nacht habe ich mit Spaziergängen verbracht. Weil ich mir nicht sicher war, ob dieses halbe Dutzend schwarzgelber Biester, die plötzlich meine Lampe umflatterten, tatsächlich Hornissenglasflügler waren. Nein, keine Nebenwirkung meiner Affinität zu Abusus, wie die malvenfarbigen Elefanten hinter der Tapete. Wo sollen denn auch mitten in der Nacht mehrere Hornissen herkommen? Die nicht surren, oder aggressiv brummen und beinahe geräuschlos um die Beleuchtung herum flattern? Das ist bestimmt angewandte Mimikry. Vielleicht befindet sich ein Nest vor meiner Tür unter der Erde, wo diese Tiere mehrere Jahre als Raupen verbringen können und die nun hervorgekrochen kommen und durch einen Spalt neben der Schwelle in Richtung Licht kriechen? Diese These wollte ich nicht in der Praxis austesten. Nachher waren es doch echte Hornissen.

Genug der Selbstkasteiung. In meinem Alter kann man sich beim besten Willen nicht mehr folgenschwer die Zukunft versauen. Also: Aufbauen, motivieren! Alle Energie zentriert aufbringen um den Tag zu verschlafen, so als letzte Referenz an meine Jahre der Postprägung.

Und also zogen meine Charles-Dickenskesken Gespenster davon. Von mir in Handarbeit mundtot gemacht.

Nachtrag: Es müssen Schmetterlinge gewesen sein, denn bei beginnendem Tageslicht flatterten sie an meiner Fensterscheibe und starben durch massive Gewalteinwirkung. Ja, ich weiß. Leeres Glas drüber stülpen mit Pappe abdecken, vorsichtig hinaus in die Natur tragen und hoffen, das arme Tier nicht traumatisiert zu haben.

Mal sehen, ob ich demnächst witzig kann.


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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RE: Schlaflos in Burgdorf

#2 von Jonny , 24.08.2018 20:01

Wunderbar verrückt und herrlich amüsant, Karle.
Ich staune wie du diese ungebetenen Gäste mundtot machst.
Ein Geist der Vergangenheit - und einer der Zukunft.
Fast so als würde die Schwiegermutter von der verflossenen mit der der aktuellen Braut Hand in Hand gehen...

Toll gemacht Karle, ich hab mich amüsiert!
Jonny

 
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RE: Schlaflos in Burgdorf

#3 von Sirius , 24.08.2018 20:02

Du misshandelst also Schmetterlinge, du Unhold!
Du hattest also die Begegnung, die Mr. Ebenezer Scrooge jedes Jahr an Weihnachten im Fernsehen an, wobei mir seinerzeit die Version mit Bill Murray besser gefallen hat, aber ich denke, der Scrooge sieht dir ähnlicher. Ihr seid je beide schön. Nur dass man sich bei dir zum philosophischen Austausch trifft.
Und Phantome kenne ich auch. Ich hab ja jeden Abend Phantomsex.
Und ganz genau: Hinterher ist man immer tot, aber auch schlauer. Deinen Geistern hast du es richtig gegeben, lass dich bloß nicht unterkriegen von den Stimmen, die man immer hört, das sind nur Phantomkiffer, die wissen nicht, was du durchmachen musst, und ich mit deinen Geschichten, die mir gegen meine Geister gut tun.
Jeder hat seine Geister, auch jene, die nicht kiffen, rauchen, saufen oder eimerweise Nutella fressen und dann sagen, sie hätten einen schweren Knochenbau. Aber du kommst mit denen klar, weil du dich literarisch mit ihnen auseinandersetzt.
Aber das mit den Schmetterlingen muss aufhören!

Sirius


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