Charles Bukowski
Zum Trost für Kaerl L.
Mal relaxen können wie eine Maus in der Falle
In den meisten Fällen
enden wir als senile
gutmütige Narren, hin
und her geschoben von
einer rosigen Kranken-
schwester, die uns an-
blafft, weil die
Bettpfanne wieder rand-
voll ist.
Es sei denn, es nimmt
ein gewaltsames Ende -
ein Finish, in dem
noch einmal alles an uns
vorüberzuckt: Mahagoni-
farbene Sonnenstrahlen,
Girls am Strand, Platt-
füße, Haarschnitte,
rasselnde Wecker, ein
rasender Puls.
Egal wie, es kommt nie
richtig zusammen.
Ich gehe in Bars, durch
leere schmale Seiten-
straßen, ins Wettbüro,
frage mich, was ich
eigentlich will, und
denke wehmütig an
Urwälder voll Kletter-
pflanzen und ähnliche
Dinge, z.B. an Mäuse,
die sich mit den Vorder-
pfoten die Nase putzen.
Ich sehe mir die Leute an,
aber sie sind alle
beschäftigt mit Dingen,
die ein Spinner wie ich
für Unfug hält: Ein Haus
abstottern, von da nach
dort kommen, Geld verdienen
und darüber reden.
Das einzige wovon man
etwas hat, ist wahrscheinlich
rücksichtslos zu schlafen,
aber auch das geht nicht
lange genug gut - überall
werfen sie Preßlufthämmer an,
die Kirchenglocken juckt der
Schweiß der Beter, die Bienen
stechen, die Fenster gleißen,
Boote kentern und verfüttern
ihren Inhalt an die Haie, nur
Kanonen schlafen ungestört
in Museen. Ich gehe weg von
allem, habe nichts gelernt,
weiß jeden Tag weniger, meine
Hände werden magnetisch ange-
zogen von meiner Kehle,
meine Füße tragen mich voran
wie bewußtlose tierische
Extremitäten, in Gegenden
hinein, wo es schimmelt und
gärt, in eine behagliche
Hölle, voll von Grünzeug,
Ranken und Lianen, und dafür
danke ich ihnen auf den Knien.
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Ernest Hemingway
Für Will Davies
Zwei Männer sollten gehängt werden
Ak Hakse gehängt bis zum Eintritt des Todes
Ein Richter entschied so
Ein Richter mit schwarzer Kappe.
Der eine von beiden musste gestützt werden
Er hielt sich kaum aufrecht in dem hohen Gang
im Bezirksgefängnis,
Speichel rann ihm aus dem Mund und floss das Kinn herab
Und er hing über dem Priester, der schnell in sein Ohr sprach
In einer Sprache, die er nicht vestand.
Ich war froh, als sie den schwarzen Sack über sein Gesicht
stülpten.
Der andere war ein Neger.
Er stand aufrecht und würdig wie der Portier im
Blackstone Hotel
„Nein, Herr – ich hab nichts zu sagen.“
Es gab mir einen Stich,
ich fühlte mich elend
Ich hatte Angst, sie könnten Bert Williams aufhängen.
Will Davies – William Henry Davies (1871-1940) englischer Dichter
Gedichte und „Autobiographie eines Suoer-Tramps“
Als Reporter des „Kansas City Star“ hatte elf Hinrichtungen gesehen
Bert Willliams war ein führender schwarzer Künstler der Ziegfeld Revue
Reset the World!
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14. Dezember 1935
auf dem Rücken der unermesslich großen
glühenden Melonenscheibe
ein fließendlanges Baumstück
lachhafter Tisch
von seiner Langeweile abgelenkt
bedroht vom Flügel der
eng anliegt aus Lust zu sehen
wie zwischen seinen Zähnen
ein Grashalm vergeht
die beiden Prunusknospen
die so tief gefallen sind
küssen sich seit zwei oder drei Tagen
zermürbt von den Tränen
des kleinen Mädchens
[Pablo Picasso]
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Zitat von Sirius
Charles Bukowski
Zum Trost für Kaerl L.
Mal relaxen können wie eine Maus in der Falle
In den meisten Fällen
enden wir als senile
gutmütige Narren, hin
und her geschoben von
einer rosigen Kranken-
schwester, ...
OHHHH, Charles, einst von mir - mit 15 oder 16 Jahren - vergötterter Charles Bukowski!!! Immer noch cool seine Schreibe, so konsequent und rücksichtslos dreckig, schrundig. Und unter der verhärteten Kruste auf seiner Seele und Schreibe: etwas wahnsinnig Weiches.
Er übertreibt, vielleicht, meine ich meinen zu müssen, jetzt mit 49, aber er hat immer noch recht:
"...aber sie sind alle
beschäftigt mit Dingen,
die ein Spinner wie ich
für Unfug hält: Ein Haus
abstottern, von da nach
dort kommen, Geld verdienen
und darüber reden.
Das einzige wovon man
etwas hat, ist wahrscheinlich
rücksichtslos zu schlafen,..."
Danke, Sirius!
Jörn
Nicht erst morgen, heute komm zum Rosengarten. (Pierre de Ronsard)
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Mein nächstes Leben möchte ich rückwärts leben. Man fängt an, indem man stirbt. Das schlimmste hat man dann schon mal hinter sich. Plötzlich wacht man in einem Altersheim auf und fühlt sich von Tag zu Tag besser. Irgendwann wird man rausgeschmissen weil man einfach zu gesund ist. Man fängt an die Rente zu sparen und eines Tages geht man zu seinem ersten Arbeitstag. Dieser beginnt gleich mit einer riesen Party und einer goldenen Uhr, die man geschenkt bekommt. Nun arbeitet man die nächsten 40 Jahre bis man jung genug ist, um den Ruhestand zu genießen. Man feiert, trinkt Alkohol und wechselt ständig den Partner. Dann ist man bereit für das Gymnasium. Und schließlich für die Grundschule. Man wird zu einem Kind. Zu einem spielenden Kind. Man hat keinerlei Verantwortung. Irgendwann ist man ein Säugling und wird schließlich geboren. Die letzten 9 Monate des Lebens verbringt man schwimmend in einem luxuriösen, perfekt klimatisierten und von Tag zu Tag größer werdenden Wellness-Apartment, mit einem hervorragenden Zimmerservice. Dann ist es plötzlich soweit: Man beendet das Leben als Orgasmus!
Woody Allen
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Juan Vicente Piqueras (*1960)
Ererbte Laken
"A World where wishes alter nothing"
W. H. Auden
Die persönlichste Wunde ist ererbt.
Das Wo, das Wie, das Wann,
der Tod, die Geburt,
Sprache, Familie, Gott, Zeitalter:
Das Entscheidende, das uns widerfährt
und das uns ausmacht
ist weder gewünscht noch gewählt.
Und wir verbringen das Leben, dennoch oder deshalb,
im Glauben, der Wunsch sei unser Gott
und nicht eine seltene Rose, die in uns nichts anbaut als den Zufall
der uns führt, blendet und ignoriert.
Niemand hat die Welt gewählt, in die er geboren wurde.
Nicht einmal seinen Namen, seine Erinnerung.
Das Wichtige setzt sich durch, wird nicht gewählt.
Und doch sind wir Wesen frei
zu wählen zwischen Geben und Zerstören,
was wir haben, zu wollen, zu lieben,
mehr als das, was es nicht gibt, ohne Welt zu kämpfen,
was auch immer geschieht, zu akzeptieren und hart
daran zu arbeiten, dass geschehe,
was auf alle Fälle geschehen wird.
Es gibt weder mehr Weisheit noch Heilung
als das Leben mehr zu lieben als seinen Sinn
und sich von wilden Wassern mitreißen zu lassen,
hier zu sein, und eben so, dürstend danach zu gehen,
zu wählen, was es gibt, und ach! wir Armen,
zu sein, wer wir sind, verlor'ne Söhne, zu wissen,
dass mehr nicht ist als was wir geben.
Freiheit nennen wir diese Aufgabe
winzige Stiche im Stillen zu sticken,
beflecken, abreißen, waschen, aufhängen, falten,
in den Schrank legen zwischen duftende Quitten,
den von Großmutter ererbten Bettlaken,
die sie hinwiederum von der ihren erbte, seltsame Aussteuer
für diese Einsamkeit, die sich mit mir vermählte.
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Eine weitere Nachricht
Das Leben ist ein Unglück, unaufhörliches Knistern.
Richtest du nicht selber eines an,
ereilt es dich bestimmt.
Es heißt nur, anzurichten oder ausgeliefert sein.
Als ich ankam in Seoul,
auf dem Weg vom Expressbus-Terminal
zum Taxistand,
rief da nicht ein ältrer Gentleman, adrett gekleidet
wie ein Grundschullehrer,
durch ein Megaphon: Das Ende der Welt ist nah,
glaubt an unseren Herrn Jesus, und ihr seid erlöst?
Wie Bettlern wichen die Leute
auch der Erlösung aus.
Vielleicht war er einer, den Gebete
vom Krebs geheilt haben.
Nur, wenn er davon so todernst geworden
und auf der Straße so viel Wesens macht,
so ist der doch
ein Bettler.
Hwang Chi-Woo
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New York Tar
Schon fast eingetreten. Der Fuß. Der Asphalt. Der Kot.
Die verwaschene Spur aus dem Riesenpalmentopf. An
der Ecke.
Zwischen der 15ten und 5ten. Einen Block vom Büro.
Von oben tropft Wasser. Da hat einer ein kühles Zimmer.
Mit Wänden. Die den Lärm transparent. Transportieren.
So geht das nämlich.
So schleicht die Stadt in deine Wohnung.
Unter dem Schuh. An der Hand. Die im Bus gewandert ist.
Auf dem Hosenboden der Jeans. Die in der Subway
gesessen hat.
Da wo der Mann Platz gemacht hat. Für dich.
Vielleicht weil er sich davon was versprochen hat.
Wer weiß.
Hier will jeder etwas. Von einem. Von allem.
An jedem Tag. An dem Tag auch.
Als die Türme fielen.
Selbst da wollten alle etwas. Der Staub und Rauch.
Zog über die Stadt. Erst Brooklyn. Da war es fast noch egal.
Am nächsten Tag Manhattan.
Da hatte man die Nasen voll. Von Gas wurde gemurmelt.
Ab Houston. Keinen Verkehr. Keine Zigaretten.
Nur noch Helden. Die Heldenzone.
Man hängt sein Fähnlein in den Wind. Sieht wie es sich
lustig dreht.
Und mit dem Drehen kommt der Krieg.
Und auch den sieht man sich an. Wie er sich lustig dreht.
Von hier aus. Sieht der Rest der Welt aus. Wie Spielzeug.
Man kennt den Originalmaßstab nicht.
Da fallen meine Vorwürfe auf Miniaturböden.
Mikroskopisch klein werden meine Kommentare.
Ultraleise wird die Welt hier. Leise. Leise rieselt der Teer.
Der partikelweise schmilzt. In der Sonne.
Die noch einmal vor dem Schnee scheint.
So hat jeder Stadtteil einen Teil der Stadt.
Von der Südspitze zur Nordspitze. Verteilt sich die Stadt
an sich selbst.
In den Straßen. Ist es ruhig. Man lauscht. In den Lärm
hinein.
Denn zwischen den Blöcken schlagen die Wellen bald
hoch.
Den Himmel beobachtet man. Mit einem geschlossenen
Auge.
Nora-Eugenie Gomringer
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Franz Kafka (1883-1924)
Kühl und hart
Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.
In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.
Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.
Wolken, die über grauen Himmel ziehn
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.
---
Aus einem Brief Kafkas vom 9. November 1903, in dem er als Zwanzigjähriger seinem Schulfreund Oskar Pollak von "einigen Versen" schreibt, die er "in guten Stunden lesen" möge.
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Die Schattenseite von Hollywood
Charles Bukowski
Die Fenster alle dunkel
die Tankstellen im Neonlicht
und da oben
auf den Bergen
machen die reichen Hengste
mit ihren schönen Stuten
einen drauf
während ich Donizetti höre
der 1797 gestorben ist
und es ist nichts zu rauchen da
aber genug zu trinken
und ich hab die Bettwäsche abgezogen
die brand-
rote
Flecken hat
und es dämmert mir
mal wieder
dass ich
sterben muss.
Donizetti geht weiter,
das auf den Bergen geht weiter,
ich gieße mir
einen neuen Drink
ein.
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An sich selbst
Magst nun für immer ruhn,
mein müdes Herz. Dahin die äußerste Täuschung,
Dass ich mich ewig wähnte. Dahin.
Erloschen sind, Ich fühl es, die Hoffnung
und das Verlangen Nach milden Täuschungen.
Ruh’ nun für immer. Du hast genug
Geschlagen. Umsonst dein
Aufruhr, die Welt ist deine Seufzer
Nicht wert. Bitter und schal ist
Das Leben, nichts niemals sonst; und Schlamm die ganze Welt.
Beruhige dich nun. Verzweifle
Ein letztes Mal. Einzig das Sterben
Ist unserem Geschlecht gegeben. Verachte also Dich, die Natur, die böse Macht, die im Verborgenen über gemeines Unglück herrscht, Und die unendliche Eitelkeit aller Dinge.
Giacomo Leopardi (1798-1837)
(aus dem Italienischen von Stefanie Golisch)
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Die Lagune
Die Nacht ist sanft und zart,
Als ob sie aus dem weichen
Vlies eines schwarzen
Schafes bestünde.
Kein Mond. Ich streife im Dunkeln
Auf dem verzauberten Feld umher.
Ich atme die Frische von Binsen,
Weiden und Ulmen.
An der Lagune gehe ich entlang
Und spüre dich, Geheimnis des Wassers!
Das Wasser ist ein lebendiges Wesen,
Das mich betrachtet und schweigt.
In dieser Nacht scheint
Die Lagune Gedanken nachzuhängen.
Meine Seele streckt sich an ihr
Serpentinengleich aus.
Wie ich das Wasser liebe!
Wie ich das Wasser liebe!
Ihm zu neigt sich
meine Seele wie die Binse.
Vielleicht war ich in einem
Anderen uralten Leben,
Bevor ich Fleisch wurde,
Zisterne, Brunnen oder Fluss ...
Juana de Ibarbourou (Uruguay)
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Betrachtungen
Denn über die Schwierigkeiten hinaus,
sich selbst mitzuteilen,
ist da noch die unendlich größere Schwierigkeit,
man selbst zu sein.
Diese Seele oder dieses Leben in uns
stimmt keineswegs mit dem Leben
außerhalb von uns überein.
Wenn man den Mut hat,
sie zu fragen, was sie denke,
so sagt sie immer genau das Gegenteil von dem,
was andere Leute sagen.
Virginia Woolf
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Jenny Joseph
Warnung
(Übersetzung: Claudia Schumann)
Wenn ich einmal eine alte Frau bin, werde ich Purpur tragen,
Zusammen mit einem roten Hut, der nicht dazu passt und mir nicht gut steht.
Und ich werde meine Rente ausgeben für Cognac und Sommerhandschuhe
Und Sandalen aus Satin.
Und ich werde sagen:"Für Butter haben wir kein Geld."
Ich werde mich auf den Bürgersteig setzen, wenn ich müde bin,
Und Gratisproben in den Geschäften verschlingen
und Alarmglocken läuten
Und meinen Stock gegen die Zäune der öffentlichen Anlagen klappern lassen
Und Schluss machen mit der Angepasstheit meiner Jugend.
Ich werde in meinen Hausschuhen in den Regen rausgehen
Und Blumen pflücken, die in anderer Leute Gärten wachsen,
Und lernen zu spucken.
Man kann dann die schrecklichsten Blusen tragen und richtig dick werden
Und drei Pfund Würstchen auf einmal aufessen,
Oder eine Woche lang sich von Brot und sauren Gurken ernähren,
Und Bleistifte und Kulis und Bierdeckel und anderen Kleinkram horten.
Aber jetzt müssen wir vernünftige Kleider haben, die uns trocken halten,
Und unsere Miete zahlen und keine Schimpfwörter auf der Straße benutzen
Und gute Vorbilder für die Kinder sein.
Wir müssen Freunde zum Essen einladen und die Tageszeitung lesen.
Aber sollte ich vielleicht nicht jetzt schon ein bisschen üben?
Damit die Leute, die mich kennen, nicht zu schockiert und überrascht sind
Wenn ich plötzlich alt bin und anfange, Purpur zu tragen.
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Herrlich, diese Zeilen!
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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