„Halli, Hallo, Hallöchen,

Treten Sie näher, nehmen Sie Platz, ja, auch Sie dahinten, ich beobachte Sie schon länger, wie Sie zwischen den Reihen hin und her irren, Sie scheinen Ihren Platz verloren zu haben. Wann war das denn nur? Wie konnte das passieren? Oder sind Sie vor dem Platzregen geflüchtet? Den Wassermassen, die sich seit fünf Minuten aus dem Himmel stürzen als wollten sie den Wolken Platz machen für die Sonne? Nur Mut, ich versichere Ihnen, es gibt den richtigen Platz für jeden und Platz ist in der kleinsten Hütte, auch in diesem Zelt, hier, wo der Zirkus des Lebens tobt und an unseren Grenzen kratzt!

Was? Wie bitte? Ich kann Sie nicht verstehen, seit dem Bau der neuen Startbahn donnern die Flugzeuge ständig hierüber, mir platzt gleich das Trommelfell, wenn die nicht aufhören. So kommen Sie doch näher, auch in der ersten Reihe ist noch ein Platz links außen, der könnte zu Ihnen passen, trauen Sie sich ruhig, nur Mut.

Und Sie da, ja, der Herr mit der braun karierten Schiebermütze und dem Geweih auf dem linken Unterarm, ja, genau Sie meine ich. Müssen Sie sich aufführen wie ein Platzhirsch und so einen Rabatz machen? Wenn das nicht gleich aufhört, knalle ich Ihnen einen vor den Latz, so war ich Schnatz heiße, so schnell können Sie gar nicht gucken. (Anmerkung der Regie: S. greift zu seiner Pistole mit Platzpatronen und fuchtelt wild in der Gegend herum. Im Hintergrund hört das Publikum Schüsse.)

Ach, Schatz, dich meine ich doch nicht, du kannst ruhig auf der rechten Seite stehen bleiben. Ich platze übrigens fast vor Neugier, weil ich meine die Dame in dem roten Kleid in Reihe 5 Mitte, die mit den rosa Pailletten am Dekolleté, aus dem Fernsehen zu kennen. Wer ist das noch gleich? Wie ist ihr Name? Ich platze vor Neid, wenn ich denke, dass unsere Tochter dort auch stehen könnte. Und stattdessen? Setzt sie sich der Hatz Profitsüchtiger und Entwertungsgeiler aus, warum macht sie das nur?

Halli, Hallo, Hallöchen,

haben Sie denn nun endlich Ihren Platz gefunden? Ja, Sie dahinten, Sie irren ja immer noch durch die Reihen? Können Sie sich denn nicht entscheiden? Wer hat Sie denn nur von ihrem Platz gestoßen? Ratzfatz ging das wahrscheinlich, aber nichts ist für die Katz im Leben, schauen Sie mich an! Ich lasse jetzt mal die Bombe platzen, damit alle, die noch nach ihrem Platz suchen, auch verstehen, worum es geht in diesem Zirkus des Auf und Ab, des Seiltanzes und der sich windenden Körper, der Jonglage und der tänzelnden Schimmel, der weit aufgerissenen Mäuler von Löwen und der melancholischen Clowns. Ich gebe Ihnen jetzt mal meinen Lebensschatz mit auf den Weg, mein Motto, meinen Leitsatz, den mir meine Großmutter, mein Mutterersatz, mit auf den Weg gegeben hat:

Halten Sie durch, geben Sie nicht auf, machen Sie es wie der Spatz an der Eisdiele von Gino, den ich Sonntags vormittags immer beobachte. Er hüpft so lange auf einem Bein herum und umkreist die Waffelreste auf dem Boden bis er spürt, jetzt ist der Moment gekommen, dass er Platz nehmen darf am gedeckten Tisch. Und dann, mit einem Schmatz, verschwindet der Krümel in seinem Schnabel und er ist da, wo er hinwollte. An seinem lang ersehnten und herbei geträumten Platz!

Halli, Hallo, Hallöchen – Treten Sie näher, treten Sie ein, Platz ist auf dem dünnsten Grashalm und dem dicksten Stumpf, Sie entscheiden, wo Ihrer ist!!!”

Sehr originell, liebes Frollein, und mal was ganz anderes von dir! Der Platzwart erinnert an die Marktschreier, die einem noch schnell eine Kiste Bananen andrehen wollen. Man entkommt seinem Wortwitz nur, wenn man seinen Anweisungen folgt.
Hast du ganz fein hinbekommen diese Szene (Anweisung von der Regie: Applaus!).

Sirius

Vielen Dank, lieber Sirius, du weißt ja, ich probiere gerne herum beim Schreiben und manchmal kommt dann so etwas dabei heraus.

Ewig im gleichen Stil zu schreiben, finde ich langweilig, aber ich finde es auch umso schwieriger, den eigenen Stil zu verändern
Liebe Grüße

Ännchen