Unter Fiffi stellt sich der allgemeine Leser im Allgemeinen eine Kreatur vor, die jeder auch nur im Geringsten anspruchsvolle Hund voller Empörung sofort aus seinem Körbchen schmeißen würde. Und auch jede andere Kreatur würde genau so vehement jedwelche Zusammenhänge in Abrede stellen, - selbst das Schnabeltier.
Wenn Fiffi-Wesen gerade nicht jibbeln und hibbeln, - meistens sind diese, von weniger sensiblen Leuten auch als 'Fußhupe' titulierten völlig überzüchteten Tölen ja ständig am Zittern -, geben sie mit vergeblichen Kletterversuchen an den bislang sauberen Hosenbeinen erkennbar dem Wunsch Ausdruck, endlich auf den Arm genommen zu werden, um einem dann voll unhygienische im Gesicht rum zu schlabbern.
Falls sie nicht gerade völlig überdrehte hysterische Freude simulieren, liegen sie nur undekorativ wie Ratten auf dem Extrakissen und beobachten einen voller Misstrauen.
Sie tragen kein visuelles Echo von glimmenden pleistozenänen Lagerfeuern in den Augen, die uns Menschen stets daran erinnern sollten, dass jeder Hund nur einige wenige, bloß ein wenig anders geschaltete Gene und zwei Mahlzeiten vom Wolf entfernt ist.
Aber nicht im Normalfiffifall! Nein! Die Vorfahren von Fiffi hatten sowohl von Springmäusen als auch von Nacktmulchen etwas ziemlich Viel in ihre genealogische Erbschaft mit eingemendelt.
Fiffis tragen außerhalb der Wohnung blinkende Halsbänder. Fiffis kacken trotz langer Leine dorthin, wo es am unhöflichsten ist – vielleicht gucken sie beim nächsten Spaziergang nach, ob sie erfolgreich gewesen waren. Fiffis lassen grundsätzlich keine Gespräche zwischen Menschen zu, wenn sich diese nicht ausschließlich um Fiffi drehen, die alle 10 Sekunden eine Bestätigung braucht, dass Frauchen keinesfalls vorhat, mit diesem Störer da durchzubrennen und Fiffi WIRKLICH ihr Ein und Alles bedeutet.
Aber natürlich sind Fiffis Frauenhunde! Besonders die mit rosa Schleifchen und Deckchen in Schottenkaro! Oder habt ihr etwa schon mal einen Mann gesehen, der sich einen Affenpinscher, Chihuahua, Mops, Chow-Chow oder so hält? Ein Mann will sich ja nicht mit Absicht lächerlich machen, das schafft er auch ohne Vorsatz und auch ohne blauzüngiges schnaufendes Etwas an der Leine, das ein (in Ermangelung eines besseren Ausdrucks) Gesicht sein Eigen nennt, dessen Besitzer offenbar etwas zu schnell vor eine Mauer gerannt ist.
Gut. Das musste mal in aller Deutlichkeit geschrieben werden, hat auch kaum etwas mit dieser Angelegenheit zu tun, außer der Überschrift, und nun kommen wir zum eigentlichen Thema:
Drago
Ich trete also ahnungslos vor die Tür, erwartungsgemäß in Fiffis Beweis von gesunder Verdauung und befinde mich plötzlich im finsteren Wald. Ja, im Wald. Düster, Unheil verheißend, drückend. Wie von einem delirierenden Fritz Lang gestalte. Gerade eben noch war da urbanes Ambiente, Häuser, Autos, Fiffis, anständige Menschen, Psychopathen, Mörder und Schlimmeres … und einen Schritt weiter stehe ich im Wald. Was es nicht alles so gibt. Bestimmt ein Phänomen. Ich trete langsam zurück und das gewohnte Bild erscheint wieder anstelle von dunklem Tann, mystischem Born, unheilvoller Höhlenöffnung. Nun erkenne ich auch den feinen Riss, der sich in der Luft zeigt. Nur eine kleine Verschiebung, so wie von angeknackster Spiegelscherbe. Wolken verschwinden einfach, um dann an anderer Stelle wieder zu erscheinen, als ob das völlig normal wäre und Wolken so etwas ständig täten. Ein Glück, dass ich in meinem Leben schon viel seltsamere Dinge gesehen habe. Also denke ich nur 'Hum' und nicht etwa 'Huch!'
„Huch!“ denke ich erst einen Moment später. Meine Güte aber auch, meinetwegen auch meine Schlechte, aber da liegt doch tatsächlich ein Drache im Teich, spielt mit einer gelben Gummiente und versucht sich als Kermit, der Frosch, was insofern nicht einfach ist, als das Tier annähernd 20 Meter lag ist, fast nur aus Schuppen, Klauen, Flügeln und einem sympathischen Pferdegesicht besteht. Trotz Gummiente haftet der Szenerie etwas urkomisch Skurriles an, was möglichst nicht zu Lachen reizen sollte. Besser wäre es jedenfalls, denn die schlagartig ungeteilte Aufmerksamkeit eines Wesens, das einen in der Mitte durchreißen kann, macht automatisch besonnen und sehr schnell diplomatisch.
„Kleines, süßes Quitscheentchen.“ meinte ich ausgesprochen geistreich.
Ein scheunengroßes Tor öffnet sich und zeigt jede Menge scharf wirkende Freiheit von jeglicher Kandare „Äh. Hallo. Gut dass du vorbeischaust. Kannst du mir mal den Rücken schruppen? Ich komme da so schlecht ran.“ Das Gefühl, von skrupellosen Baggerzähnen angestarrt zu werden verlässt mich zögernd, bleibt aber auf der Hut. Wenn dieses Schuppending von mir nichts Schlimmeres verlangt, als ein wenig Rücken kratzen … Und danach?
„Kein Problem. Nur, womit denn?“
„Nimm die Forke da, sei aber sehr vorsichtig, nur etwas kratzen, ganz sanft, mit Gefühl und ohne Löcher zu bohren. Klar? Kannst du das?“
„Klar. Darf ich mal eine persönliche Frage stellen? Du benimmst dich irgendwie ganz schön atypisch. Drachen sollten nicht in Topfquellen planschen, mit Gummienten spielen und versuchen zu quaken, sondern Feuer spucken, auf einem Hort aus Gold schlafen, Prinzessinnen gefangen nehmen, Angst und Schrecken verbreiten, und all so Sachen. Ich müsste eigentlich meine Rüstung gürten (Ich weiß nur immer noch nicht, worauf es dabei ankommt, egal), also sollte ich mir wenigstens den Harnisch zurecht rücken und spitze Dinge in dich stecken, in deinem Blut baden, deinen Hort beschlagnahmen und das halbe Königreich inklusive Tochter des Königs gewinnen.“
„Ach, hör doch auf, diese ollen Kamellen wieder aufzuwärmen. Ja, früher waren wir nicht besonders nett, zugegeben, das ein- oder andere Großmaul wurde schon mal in seiner Rüstung gegart, reine Notwehr, so eine Prinzessin kann auch recht anstrengend sein und irgendwann blieben die Helden einfach weg. Wer will schon eine halbe Demokratie? Ja-ja, der Fortschritt. Und auf einem Hort aus Gold schlafen nur Idioten. Viel zu unbequem.“
„Wie heißt du überhaupt?“
„Fiffi.“
„Fiffi? Solltest du nicht Schreckensklaue oder so heißen?“
Der Drache winkt nur träge, fast verächtlich mit einem Flügel ab: „Weißt du, ihr Menschen habt eine völlig falsche Vorstellung von uns. Glaubst du wirklich, man könne mit diesen, zugegeben dekorativen 15 Meter langen Stummeln fliegen? Auftrieb, Aerodynamik, Masse, Schwerkraft sind schwer abzulegende Angewohnheiten, - eine gewisse Stimmigkeit muss auch in der narrativen Logik enthalten sein, sonst ginge hier ja alles noch mehr drunter und drüber. Nein, wir Drachen sind im Prinzip nur ein Witz der Evolution, schlecht strukturierte Chemiefabriken, mehr Zeppelin als fliegender Alligator. Deswegen solltest du mich auch nicht löchern, wenn du meinen Rücken kratzt. Helium, einige Spurenelemente, Drüsen zur Herstellung von brennbaren Destillaten, ich bin ziemlich explosiv. Deswegen wurde auch damals der ein oder andere Held zu dem ein oder anderem toten Helden, aber ...“ Der Drache beugt sich vor und ich erkenne in den Medizinball großen Augen spät – zu spät – einen Bruder. „Aber wir haben nie ethische Gründe geltend gemacht, andere Menschen umzubringen, denen wir noch nicht einmal vorgestellt wurden, es ging uns nur ums überstehen. Selbst mystische Wesen müssen leben. Und wenn man seine Moral erst aufschreiben muss, hat man schon verloren. Mit der menschlichen Niedertracht von überzeugenden Wortlügen kann kein echter Drache mehr mithalten. Jah. Gut so. Und noch ein wenig zwischen den Flügeln.“
„Weißt du eine Lösung?“
„Wieso? Das Leben selbst ist doch schon die Lösung, was soll ich denn da groß erklären. Lass uns Einen trinken gehen. Oder Zwei, wenn du bezahlst.“
„Dragon Nobilis bedeutet doch großzügiger Lindwurm?
„Ja, das hättest du wohl gerne. Es bedeutet 'Erhabener Drache' und außerdem bin ich heute Fiffi und pleite!“
(...)
Wie jeder weiß, oder wenigstens so tun sollte als ob er es wüsste, gibt es viel ungenutzten Platz zwischen den Dimensionen. Das passiert nun mal, wenn die Wirklichkeit in sich geschlossen, gekrümmt, schief, verbeult und topologisch gesehen eine völlig unausgewogene Kurve bildet.
Natürlich passen die Dimensionen deswegen auch nicht lückenlos an einander. Es könnte u.U. hilfreich sein, sich die Realität als eine Kiste voller verbeulter Tischtennisbälle vorzustellen, das ergibt auch viel freien Raum zwischen den einzelnen Bestandteilen. Ich persönlich meide allerdings solche Überlegungen. Sie sind so überzeugend wie wasserscheue Fische, aber ausnutzen, sie mir untertan zu machen ... Mein Gott, ich bin doch auch nur ein Mensch – das ist schließlich mein Job. Ich will ja berichten, wo Fiffi hin verschwindet, wenn er nicht gerade ein Bad nimmt. Jetzt wisst ihr es.
Unter anderem wegen der Kneipe 'Zur Illusion', in der gerade ein 20 Meter langer Drache und ein Hüften ungegürterter Held eine gemeinsame Sprache versuchen zu finden:
„Womit wollen wir überhaupt bezahlen?“
„Kreditkarte! Wer so einen Blödsinn wie du zusammen spinnen kann, wird doch wohl auch eine irreale American Express Karte zustande bringen.“
„Nehmen die auch Traveller checks?“
„Echte?“
„Hör mal, der Spinner hier bin ich. Du bist ein 'Erhabener Drache', also stell keine dumme Fragen. Hallo, Wirtschaft! Umsatz droht! Ansonsten wedelt Fiffi mit dem Schwanz.“
Wie aus dem Nichts erscheinen zwei große Gläser mit etwas Unidentifizierbarem – Hmmmm. Lecker. Kaum leergetrunken kann ich die aquakeske Version vom Tischlein-Deck-Dich beobachten: Gläslein-Füll-Dich. Schade, dass es solche Humpen nur in der Kneipe 'Zur Illusion' weit hinter dem Konkreten gibt, zwischen den Dimensionen. Als Schöpfer hätte ich das völlig anders konzipiert.
„Also. Erstens nenne ich dich nicht mehr Fiffi. Klar? Dein Name sei Drago. Sonst nimmt dich doch keiner wirklich ernst. Besonders ich nicht.“
„Die Leute sollen aber keine Angst vor mir haben. Ich mag es viel mehr, wenn mich wer mag.“
„Ja-ja. Ein Drache auf der Suche nach Liebe und Verständnis, mit einem Namen, der zum schwungvollen Ausholen von Leder bewehrten Schuhen auffordert. Mit Stahlkappe! Aber 'Liebe' entsteht nicht aus Belustigung sondern aus Respekt. Dein Name sei Drago und als Nachnamen nehmen wir ein 'von' … äh … von … Steinwolle … äh … Nebelschlucht! Verschlossen und bekündet! Basta. Was ist da überhaupt in den Bechern? Gerade kam ein Petunie zum dritten Mal vorbei. Das ist doch nicht normal.“
„Auf Wurzeln oder im Topf?“
„Auf Wurzeln.“
„Dann sei diskret genug, es nicht zu bemerken. Petunien brauchen viel Flüssigkeit und müssen deswegen oft aufs Klo. O.K. Mein Name sei Drago von Nebelschlucht.“
„Wie viele Drachen gibt es überhaupt noch?“
„Ich bin der Letzte. Oder glaubst du im Ernst, ich würde sonst mit einer Gummiente spielen? Die anderen fielen dem Fortschritt zum Opfer. Drachen brauchen Glauben, keinen Hort und keine Prinzessinnen. Sie brauchen Glauben um den Weg aus dem Nichts hinter dem Garnichts nach hierhin zu finden. Ich hatte nur das Glück, ausgerechnet der einzigen Person zu begegnen, die noch von Drachen träumt.“
„Also, ich weiß ja nicht. Nur weil du konkret vor mir stehst, äh …, inzwischen liegst, muss ich noch lange nicht an deine Existenz glauben. Stück mal ein Rück. Ich muss mich auch kurz hinlegen.“
… und als ich das nächste Mal die Augen öffne liege ich alleine auf meiner Chaiselongue und nun weiß ich: Der letzte Drache ist mengenmäßig weniger als Eins! Null! Ich zähle zur Sicherheit noch zwei mal nach, aber das Ergebnis bleibt bei Null! Bestimmt ist Fiffi Drago von Nebelschlucht nicht tot, aber noch mehr woanders, als das Multiversum reicht! Nur noch eine anachronistisch archaische Anekdote. Das Symbol einer narrativen Vergangenheit, die so nie, nie wieder kommen wird – mit nur ein wenig Glück.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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