Wo bleibt der demokratische Widerstand?
Wachstum! Profit! Und Politainment zur Beruhigung. Da frage noch jemand nach Gerechtigkeit, Bildung, Freiheit. Wir dürfen mit dem Weitermachen nicht mehr weitermachen.
Die Dinge laufen nicht gut da draußen. O – das pfeifen inzwischen längst die Spatzen von den Dächern, zwitschern die Info-Apps auf den Handys. Und egal, mit wem ich rede: Jede und jeder denkt das. Spricht es aus. Egal, aus welchem Milieu, welchem Berufsfeld er oder sie stammt, egal, worüber wir sprechen, die weltpolitische Lage, die Stimmung im Land, die Arbeitssituation, das liebeliebe Geld, die jeweilige Branche, das Klima, die Zukunft: Es läuft gar nicht gut, es läuft eher ziemlich schlecht, wird sogar immer schlimmer. Ich traue mich schon gar nicht mehr, in die Zeitung zu schauen, die Nachrichten zu hören, die Onlineticker zu öffnen, sagen alle. Und ich nicke. Täglich neue Krisen, täglich neue Zuspitzungen, neue Hiobsbotschaften, neue – Alternativlosigkeiten. Was soll man dagegen auch tun, heißt es dann. Oder es steht allen ins Gesicht geschrieben. Ändern lässt sich daran eh nichts. Infolgedessen findet man sich ab, hält irgendwie durch, hält sich eben, so gut es geht, über Wasser, macht eben einfach weiter, etwas gedimmt, etwas frustriert, etwas verzweifelt vielleicht. Weitermachen – das Komplementärwort zur Alternativlosigkeit.
Als junger Mann verliebte ich mich in einen Gedichtband, der mich seither durchs Leben begleitet. Er stammt aus dem Jahr 1975, ist von Rolf Dieter Brinkmann und heißt Westwärts 1 & 2. Als Vorbemerkungzum Buch bringt der Dichter eine Aufzählung. Sie beginnt so: "Die Geschichtenerzähler machen weiter, die Autoindustrie macht weiter, die Arbeiter machen weiter, die Regierungen machen weiter, die Rock-'n'-Roll-Sänger machen weiter, die Preise machen weiter, das Papier macht weiter …". Das geht so und ähnlich über zweieinhalb eng bedruckte Seiten. Für mich war die Geste dieses Textes seinerzeit sofort klar: Hier schreibt einer, der über das absurde Weitermachen der Gesellschaft nicht nur Bescheid weiß, sondern es mit seiner ganzen Existenz begreift, um sich als Schriftsteller gerade nicht damit abzufinden, mit der Geste der Revolte dagegen anzudenken. Anzuschreiben. Genau das wollte ich auch. Kritische Intelligenz nannte man so etwas einmal. Es war die Zeit der internationalen Studentenbewegung.
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