Sasa Stanisic: „Herkunft“
Schlangennest Heimat
Am Ende ist Heimat nur ein Zahnarzt gleichen Namens: Sasa Stanisic blickt in seinem neuen Buch „Herkunft“ zurück und setzt Ursprungsmythen außer Kraft.
Wirklich gute Bücher teilen ihre Idee über die Form mit. „Herkunft“ von Sasa Stanisic ist ein wirklich gutes Buch. Es besteht aus keiner linearen Erzählung, sondern aus Stückwerk und vielen losen Fäden. Gibt es einen Ort, an dem sie zusammenlaufen und sich festknüpfen lassen? Leicht könnte man die Herkunft für einen solchen halten: einen Fixpunkt, von dem aus sich ein Leben aufrollen lässt. Doch ziemlich genau das Gegenteil ist es, was der in Bosnien geborene, in Heidelberg zum Schriftsteller gewordene und in Hamburg lebende Autor hier entwickelt. Er reiht kleine Prosastücke, Erinnerungsfetzen, Notizen, essayistische Miniaturen locker aneinander, die sich zu etwas anordnen lassen, was man Lebensgeschichte nennen könnte.
Anlässe, sich seiner selbst zu vergewissern, gibt es mehrere: Die Großmutter in Bosnien verliert ihr Gedächtnis, Ursprungsdemenz, irgendjemand anderes muss nun die Erinnerung aufrechterhalten. Oder die Ausländerbehörde fordert für die Erteilung der deutschen Staatsbürgerschaft einen Lebenslauf. Und plötzlich redet alle Welt wieder von Heimat und Identität.
Vielleicht ist Erstere ja nur ein Zahnarzt namens Dr. Heimat, der einem jugoslawischen Bürgerkriegsflüchtling in Heidelberg einst die erste Amalgam-Füllung verpasst hat. Auch auf die Frage nach der Identität kann man mit einem Satz antworten: „Ich bin Jugo und habe in Deutschland trotzdem nie etwas geklaut, außer ein paar Bücher auf der Frankfurter Buchmesse.“ Doch so einfach geht das natürlich nicht, zumal, wenn man längst zum Helden aller Buchmessen geworden ist, in dessen Werken der deutschen Gegenwartsliteratur ein dauerndes Fest bereitet wird.
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https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal...77c7001e1d.html
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