Wie das Gesicht einer Geliebten, das im Nebel verschwindet
In "Unerhörte Stimmen" erzählt Elif Shafak von den Rändern der Gesellschaft.
Shafak schreibt der Prostituierten Leila und ihren Freunden höhere Solidarität als anderen zu. Das gibt dem Roman einen etwas einsinnige Drift.
Elif Shafak lässt Leilas Geschichte in Istanbul spielen, einem Ort, an den die Autorin aus politischen Gründen nicht mehr reist. Ihr Roman ist von einem ein Ton von Trauer durchzogen.
Von Marie Schmidt
Das ist die Geschichte einer Istanbuler Prostituierten und sie fängt mit dem Ende an. Im Augenblick ihres Todes erlebt die Frau, sie heißt Leila, noch einmal, was sie als erstes gesehen hat, Minuten nach ihrer Geburt im Jahr 1947. "In quälendem Schweigen und voller Ungeduld starrten die erste Frau, die zweite Frau, die Hebamme und zwei Nachbarinnen auf das Kind." Ein intensiver, gefährlicher Moment: die Frauen des Dorfes belauern ein Neugeborenes, das nicht schreien will. Durch die Augen des Babys, suggeriert die Erzählperspektive, schaut sie quasi schon die Erwachsene an, die 43 Jahre später eines gewaltsamen Todes gestorben sein wird.
Damit ist gesetzt, was Elif Shafak in diesem wie in früheren Romanen vorhat: Von den Rändern erzählen, den Rändern der Existenz, den Rändern der Gesellschaft, den Rändern der sogenannten Normalität. Wobei es ja für das in Kunst und Literatur nicht eben ungewöhnliche Interesse am Marginalen verschiedene Motive gibt. Einerseits sieht man von außen das Mittige besser, kann das scheinbar Gewöhnliche schärfer umrissen erkennen. Daher die soziologische Idee, dass zum Beispiel Krankenhäuser, Gefängnisse und Bordelle von eminenter Bedeutung für Gesellschaften seien, weil sie sie vom Rand, von dem was verdrängt werden soll, her spiegeln.
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https://www.sueddeutsche.de/kultur/elif-...nsion-1.4493778
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