Wir weiden uns am Unglück der anderen: warum wir in den ideologischsten aller Zeiten leben
Kriege, Hungersnöte und TV-Serien mit Horrorszenarien: Wenn wir das Leid von anderen beobachten, erscheint uns das langweilige Dasein in der eigenen Konsumgesellschaft gleich viel aufregender. Ein fataler Fehler.
In seiner «Summa theologica» behauptet Thomas von Aquin, dass die Glückseligen im Himmel sehen werden, wie man die Verdammten in der Hölle bestraft, damit sie ihre eigene Glückseligkeit noch mehr geniessen können. Der italienische Priester Johannes Bosco schlussfolgerte ein paar Jahrhunderte später in die andere Richtung: Die Verdammten in der Hölle werden auch in der Lage sein, die Glückseligkeit der Menschen im Himmel zu beobachten, damit sie noch mehr leiden.
Hier steht Thomas von Aquin vor einem Problem: Gute Christen sollten ja eigentlich Mitleid empfinden, wenn sie mit dem Leid ihrer Mitmenschen konfrontiert werden. Wäre es dann nicht gegen das göttliche Gesetz, dass die Glückseligen im Himmel die Verdammten in der Hölle beobachten? Aquins Antwort lautet: nein. Denn sie erfreuen sich ja nicht an dem Leid der anderen, sondern an der himmlischen Gerechtigkeit.
Aber was, wenn die himmlische Gerechtigkeit nur eine Rationalisierung, also eine moralische Rechtfertigung dafür ist, sadistische Befriedigung angesichts der ewigen Qualen von anderen Menschen zu empfinden? Was Aquins These verdächtig macht, ist das Versprechen eines «Mehr-Geniessens». Als ob das einfache Glück, im glückseligen Himmel zu leben, nicht genug wäre, muss es noch ein zusätzliches Vergnügen geben – die Erlaubnis, anderen beim Leiden zuzuschauen. Denn nur so können die Heiligen «sich umso mehr ihrer eigenen Seligkeit erfreuen».
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