Helga Bürster: Eine andere Zeit"
Helga Bürsters neuer Roman "Eine andere Zeit" ist unser NDR Buch des Monats. Es spielt vorwiegend in Kamp, einem winzigen Dorf in Mecklenburg-Vorpommern, und handelt von Verlusten, mit denen man zu leben lernen muss.
Es gibt dieses Dorf wirklich: Kamp. Das sind nur ein paar Häuser, eine einzige Straße und ein Fähranleger. Hier wohnt Enne. Schon fast immer. Vor dreißig Jahren, nach der Wende, waren viele fortgegangen. Dafür kamen später andere:
Nach all den einsamen Jahren brannte in den Fenstern der hastig verlassenen Häuser wieder Licht. Dieser winzige Ort mitten im Nirgendwo zog die Sehnsüchtigen an. Christina kam als Erste. Die Kusine aus dem Westen hatte schon immer vom Kamp geträumt. Das zog Kreise. Nach ihr kamen die Einsiedler, Künstler und Macher. Die kauften eine Bruchbude nach der anderen weg, um sie wieder herzurichten.
Helga Bürster kennt dieses reale Dorf gut. Freunde von ihr leben dort und sie war oft zu Gast. Sie hat ein Faible für abgelegene Orte, sagt sie. Und für Dörfer, in deren Mikrokosmos es viel zu entdecken gebe: "Das Dorf ist der Ort, über den ich schreibe, weil ich wirklich finde, dass sich alles da drin kumuliert, dass alles zusammengedampft ist", erzählt Helga Bürster. "Die Stadt ist mir als Kulisse zu unübersichtlich. Ich persönlich verliere da den Überblick."
"Eine andere Zeit" ist die Geschichte der Schwestern Enne und Suse, die in den 1970er-Jahren im abgelegenen Kamp aufwachsen. Helga Bürster erzählt auf mehreren Zeitebenen, ihr Ton ist sanft, ein bisschen melancholisch, die Sprache klar und ohne Schnörkel.
Die Eltern der Schwestern arbeiten hart und vor allem der Vater hat es nicht so mit der DDR. Ganz im Gegenteil zu Enne, die eine gute Sozialistin sein möchte. Und sie ist lebenshungrig, sagt die Autorin: "Sie möchte aus dem Dorf entkommen. Das hat nicht politische Gründe, sondern sie möchte einfach leben. Das kann sie in diesem Dorf nicht. Und dann beschließt sie nach Berlin zu gehen und Schauspielerin zu werden. Aber (...) sie scheitert und kehrt zurück (...), weil sie merkt, sie muss sich um ihre Familie kümmern."
Der Grund für Ennes Rückkehr ist Suse. Die kleine Schwester ist so ganz anders. Als Kind war sie kränklich, ein bisschen seltsam, fast zurückgeblieben. Auch später bleibt sie seltsam, kleidet sich ganz in schwarz und ihre einzige Freundin ist die alte Nachbarin Alma. Suse liebt das Dorf und will niemals fort. Um so größer die Katastrophe, als Suse regelrecht abhanden kommt. Mit ihrem Freund Eddy war sie am Tag der Grenzöffnung, im August 1989, in Ungarn. Wie durch einen Zaubertrick verschwindet sie:
Wir sind beide stehen geblieben. Wir wollten umkehren, weil das alles ziemlich unübersichtlich wurde, aber von hinten wurde gedrängelt. Und dann ist dieser blöde Köter plötzlich losgerannt, hat vielleicht seine Leute gerochen oder was weiß ich. Und Suse ist hinterher. Ich hab sie dann nicht mehr gesehen.
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