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Emmanuel Carrère: Yoga

#1 von Sirius , 20.03.2023 16:57

Emmanuel Carrère: Yoga

Der neueste Roman von Emmanuel Carrère sorgte in Frankreich für einen Skandal: "Yoga" ist der Bericht einer psychischen Krise des Autors und der Versuch über etwas zu schreiben, worüber er nicht schreiben darf.

Zum Schweigen fährt Emmanuel Carrère im Jahr 2015 zu einem Vipassana-Seminar. Zehn Tage will er neben fremden Sinnsuchern auf seinem Meditationskissen sitzen und seine Gedanken beobachten. Seit über 20 Jahren praktiziert Carrère Yoga, Tai-Chi und Meditation. Er befindet sich in einer glücklichen stabilen Phase seines Lebens. Der Schweige-Workshop soll nicht nur der Selbsterfahrung dienen, sondern auch als Grundlage für ein kleines Büchlein über Yoga. Doch es kommt anders. Ihn ereilt die Nachricht, dass sein Freund Bernard beim Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" in Paris getötet wurde. Ein Taxifahrer fährt ihn zum Bahnhof.
Als ich ihm sagte, irgendwie sei es komisch für mich, mehrere Tage auf einem Kissen gehockt zu haben, ohne zu wissen, dass sich rund um uns etwas wie die französische Version des 11. September 2001 ereignet hatte, dachte er ein Weilchen nach, dann antwortete er mit einem gesunden Menschenverstand, für den ich ihm noch heute dankbar bin: "Aber wenn Sie es gewusst hätten, was hätte das geändert?"
 
Tatsächlich bildet nicht der Gewaltakt den Wendepunkt für Carrères Seelenleben, sondern ein Ereignis, über das er nicht schreiben darf. Im Vorwort der deutschen Ausgabe, einem Interview mit der Übersetzerin Claudia Hamm, ist nachzulesen, dass Carrères Ex-Frau ihm verboten hatte, über sie zu schreiben. Carrère musste in "Yoga" also trickreich um die Leerstelle ihrer Trennung herumerzählen.
Die Trennung löst einen psychischen Zusammenbruch des Autors aus, nicht völlig überraschend, depressive Episoden sind ihm bekannt. Doch dieser Einschlag ist stärker. Carrère landet in der Psychiatrie, eine bipolare Störung wird diagnostiziert. Als Therapie bekommt er Elektroschocks unter Vollnarkose. Sein Yogabüchlein schreibt sich um zu einem Traumabuch, einem Zerren der Pole, indem manchmal auch Carrères einziges Heilmittel, die Sprache, versagt.
Und wenn ich keine Worte finde, dann deshalb, weil ich heute zu viel Abstand habe, um den Horror erinnern, beschreiben und benennen zu können, in dem ich damals gefangen war, und vor allem, glaube ich, weil es keine Worte dafür gibt.

Auf der Suche nach einer neuen Richtung für sein Leben strandet der berühmte Schriftsteller bei unbegleiteten Geflüchteten auf der griechischen Insel Leros. Das geografische Zwischenreich steht dem psychischen Zwischenreich Carrères gegenüber. Und spätestens hier, wenn sich der Autor der traumatischen Reise der Geflüchteten mit egoistischem Interesse nähert, wird die Lektüre von "Yoga" qualvoll.

Weiterlesen:

https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Ber...re,yoga326.html


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Sirius
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