Layla AlAmmar: Das Schweigen in mir
Layla AlAmmars „Das Schweigen in mir“ erzählt vom konfliktreichen Zusammenleben in einer britischen Großstadt.
Die Menschen leben in Wohnblocks, deren Fenster einiges preisgeben: Geschichten spielen sich parallel ab. Im Roman „Das Schweigen in mir“ steht eine Frau in ihrer Wohnung und schaut zu den anderen hinüber. Sie sieht Mädchen beim Schminken und Männer beim Sport, sieht Familienessen und Sex, bemerkt die wechselnden Gäste der Ferienwohnung und den immergleichen Ablauf der Tage eines alten Ehepaars. Doch gibt es Zusammenhänge. Und es wird etwas passieren.
Mit alltäglichen Beobachtungen beginnt das Buch von Layla AlAmmar: „East Tower, dritter Stock, Wohnung zwei schaltet so gut wie nie das Licht an.“ Der Nachbar heißt nun „Mann-ohne-Licht“. Oder ein Stück weiter, „South Tower A, zweiter Stock, Wohnung drei. Der Dad vergisst ständig seine Karte, als würde er sich nach einer Zeit zurücksehnen, als Türen noch mit echten Schlüsseln geöffnet wurden.“ Der Blick geht nach unten vor die Tür, nach oben zum Balkon, von wo der Sohn die Karte hinunterwerfen wird. Die Beobachterin kennt die Familie auch vom Einkaufen in dem kleinen arabischen Laden an der Ecke. Auf der Haut der Mutter sind manchmal „Handabdrücke zu sehen, lila Stellen von Fingern um ihren Arm oder ein Daumenabdruck an ihrem Schlüsselbein“. Und doch wird das, was man heute „häusliche Gewalt“ nennt, nur einen Strang des Romans ausfüllen. Es macht allerdings das Dilemma des schweigenden Beobachtens schlagartig bewusst.
Die Erzählerin von „Das Schweigen in mir“ ist eine aus Syrien geflüchtete Frau, die infolge traumatischer Erfahrungen verstummt ist. Ob sie das Sprechen verweigert oder verlernt hat, weiß sie selbst nicht mehr zu bestimmen. Der Roman zeigt sie in Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt und sich selbst. Bei einem Nachbarschaftsfest auf dem Gelände der nahe gelegenen Moschee fühlt sie sich vom vertrauten Geruch des Essens angelockt, vom wohlmeinenden Auftreten des Imams bedrängt. Sie schreibt Kolumnen für ein Nachrichtenmagazin, im Roman datiert auf das Jahr 2017; die Redakteurin wünscht sich per E-Mail weniger Beobachtung, mehr Flüchtlingsschicksal. „Ich weiß nicht, wie ich ihr erklären soll, dass ich von Erinnerungen umzingelt bin, eingesperrt von Wiedererlebtem.“
Stellt die Erzählerin fest, „wenn jeden Tag Bomben fallen, wird man sich nicht an jede von ihnen erinnern und wen sie getötet hat“, führt sie das zu der Schlussfolgerung: „Mir scheint, zur Idee der Erinnerung an sich gehört untrennbar auch der Akt des Vergessens.“ Der Roman geht damit über den individuellen Umgang mit Traumata hinaus. Auch wenn die Situation der Familie in Syrien und die Flucht der Erzählerin geschildert werden, reicht es nicht, dies ein Buch über das Schicksal Geflüchteter zu nennen. Es steckt mehr darin, eine Erfahrung unserer Zeit.
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