Günter Kunert: Im Labyrinth des Unausweichlichen
Letzte Gedichte von Günter Kunert bestätigen seinen Ruf als ein origineller Melancholiker, würde nicht sein Schalk immer wieder alles durchbrechen.
Das Gedicht übersteigt die Vernunft. Ein Gipfel, der hier durch Scharfsinn erreicht werden kann, liegt in der Gewissheit, dass er nichts hilft. Zumindest eines kann auch der Dichter nicht denken: Den Anblick der Welt ohne ihn. Wenige Tage nach seinem Tod im September erschienen letzte Gedichte von Günter Kunert. Sie sind mehr als ein Blühen der letzten Wiesen des Neunzigjährigen. Der Titel wie ein Lebensmotto: „Zu Gast im Labyrinth“. Geschrieben als System von Gängen, von ganz einfachen bis letztverwinkelten, durch verschiedene Ebenen und Stufen der Abstraktion, bis kein Credo mehr gilt. Schon auf den ersten Seiten, im Gedicht „Zu später Stunde“, hilft kein Aufrechnen: „Da ist wer abgestorben / und war nicht mal ein Baum. // … // Die immer wieder sterben, / sie suchen einen Sinn.“ Der Blick auf den Tod wird offengelegt und gleichzeitig versteckt, der letzte Sinn bleibt verwehrt. Geblieben sind Melancholie und dunkle Sarkasmen, auf lakonische Art lebenssatt.
Nicht anders in einem anderen Gedicht: „Als Kind / wollte ich niemals sterben / wie die anderen, deren Schatten / gegen Abend sich von den Wänden / lösen, um auf meinen Schultern / Platz zu nehmen.“ Schattenhafte Geheimnisse des Todes. Das Gedicht wird durch das Bild des Kindes zugleich harmloser und: grausamer. „Wenn ich mit mir / selber rede, höre ich / ungern zu: es ist doch / nur wieder das alte Lamento. / Der alltägliche Weltuntergang / macht müde.“ Bitteres Wissen, immer liegt etwas in der Luft. Von den zahllosen Dingen des Lebens wiederholen sich flagrante Linien. Die Zeit verging, die Fragen nicht. Aber im Gebirge des Alters zeigt sich ein vom Leben entlasteter Mann.
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