Diese Welt ist gar nicht heil
Mit „Sommer bei Nacht“ hat der deutsche Krimiautor Jan Costin Wagner ein außergewöhnliches Buch über Trauer, Verlust und Ängste geschrieben.
Ben Neven ist Polizist. Der Vater einer Tochter ermittelt im Fall eines verschwundenen Kindes. Nach einem stressigen Tag sitzt der Ermittler vor seinem Notebook. Er ruft einschlägige Videos auf, um sich Erleichterung zu verschaffen – und onaniert. So weit ist das nicht ungewöhnlich. Doch er betrachtet dabei zwei kleine Buben, die nackt am Strand spielen.
Ein pädophiler Ermittler? Darf das sein? Ja, denn Jan Costin Wagners „Sommer bei Nacht“ ist ein außergewöhnlicher Kriminalroman. Es geht ihm nicht darum, eine sensationalistische Geschichte geschmacklos auszuschlachten. Multiperspektivisch erzählt er davon, was passiert, wenn sich die heile Welt von einem Moment auf den nächsten in Luft auflöst: aus Sicht der Eltern des Entführten, dessen Schwester, diverser Ermittler und auch des Täters sowie eines Mitwissers. Hier hat wirklich jede Figur ihre ganz eigene Stimme.
Dem Autor geht es nicht darum, Gut-gegen-Böse-Stereotype zu befördern, vielmehr versucht er, allen Beteiligten gerecht zu werden – ohne zu verurteilen. Er erzählt von Menschen, nicht von Monstern. Es sind anrührende kleine Szenen, die er schildert und für die im Krimi-Genre sonst kaum Platz ist.
Auch deshalb bezeichnet man ihn gern als den Literaten unter den deutschsprachigen Kriminalschriftstellern. Wie auch immer: Trauer, Verlust und Ängste – kaum jemand versteht es so gut wie Wagner, diese Gefühle literarisch abzuhandeln.
Jan Costin Wagner: „Sommer bei Nacht“, Galiani Berlin Verlag, 312 Seiten, 20,60 Euro
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