Das Schweigen und die Scham
Inès Bayard erzählt in ihrem verstörenden Roman die Geschichte einer privilegierten Pariserin, deren Leben nach einer Vergewaltigung aus der Bahn gerät.
Alles wirkt perfekt in Maries Leben. Die Uni-Absolventin aus gutbürgerlicher Familie arbeitet als Bankangestellte in Paris. Mit ihrem Ehemann Laurent, einem Anwalt, hat sie beste private Voraussetzungen für eine stabile Zukunft. Das Paar Anfang 30 lebt in einer geräumigen Wohnung. Zum Abendessen speist man Entenbrust und Pfefferbraten. Zur Krönung ihres Glücks wollen die beiden ein Kind bekommen.
Doch dann bricht das Unglück in die sorgsam gehütete Welt Maries ein: Die junge Frau wird von ihrem neuen Chef auf dem Nachhauseweg vergewaltigt. Der Chef setzt sie unter Druck. Marie entschließt sich zu schweigen – niemand soll von dem Gewaltakt erfahren. Zu große Sorge hat sie davor, zu einem von allen bemitleideten Opfer zu werden. Und sie hat Angst, dass ihr Ehemann sich von ihr abwenden könnte.
Man kann sich fragen, ob dieser Entschluss einer privilegierten Frau in der heutigen Welt angemessen ist. Ist ihr Risiko tatsächlich so groß? Würde ihr nicht eher, in der Ära von #MeToo und zahlreichen rechtlichen Instrumenten, Schutz zukommen? Die französische Jungautorin Inès Bayard wählt für Marie einen anderen Weg – auch um die Idee ihres Buches zu verwirklichen: das Psychogramm einer Frau, die, von einem Schicksalsschlag getroffen, sich immer weiter im Unheil verrennt. Und ja, das trägt fraglos zum Sog des Romans bei, denn von der idealisierten Zweisamkeit ist es nicht weit bis zur Beziehungstat. Allerdings wird man beim Lesen den Gedanken nicht los, dass unbedingt etwas Schlimmes passieren muss.
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