Opferanwältin Basay-Yildiz zum NSU-Prozess
„Das Urteil ist beschämend“
Die Anwältin Seda Basay-Yildiz vertritt Angehörige eines Mordopfers des NSU und von drei der Getöteten in Hanau. Sie übt harte Kritik an Justiz und Polizei.
FRANK JANSEN
Frau Basay-Yildiz, Sie und weitere Opfer-Anwälte im NSU-Verfahren werfen dem Oberlandesgericht München vor, das kürzlich ergangene schriftliche Urteil sei ein Mahnmal des Versagens des Rechtsstaates. Warum?
Es gab zehn Morde, die Opfer waren neun Migranten und eine Polizistin. Neun Menschen wurden aus rassistischen Gründen brutal hingerichtet, die Beamtin aus Hass gegen den Staat. Und man liest in der Urteilsbegründung des Oberlandesgerichts lediglich die Namen der Ermordeten und dies offensichtlich nur, um sie mal genannt zu haben. So nach dem Motto: Der Mann ist tot. Punkt.
Das Alter des Opfers? Hat er eine Familie gehabt? Welche Auswirkungen hatte die Tat auf die Angehörigen? Dazu kommt nichts. Das waren Menschen, die erbarmungslos und plötzlich aus dem Leben gerissen wurden. Denen muss man ein Gesicht geben. Das wäre das Mindeste gewesen. Die von mir vertretene Adile Simsek, die Ehefrau von Enver Simsek, dem ersten Mordopfer des NSU, wusste über zehn Jahre nicht, wer ihren Mann umgebracht hatte. Sie verfiel in schwere Depressionen. Die Kinder wuchsen ohne Vater und teilweise auch ohne Mutter auf, weil sie sich in stationäre Behandlung begeben musste. Der Haupternährer der Familie fiel von einem Tag auf den anderen weg.
Es sind immerhin 3025 Seiten…
Doch auf den 3025 Seiten des Urteils findet sich kein einziger Satz dazu. Kein einziger. Es ist wirklich zutiefst beschämend und darüber hinaus auch noch unanständig. Unabhängig davon erfordert auch Paragraf 46 des Strafgesetzbuches bei der Strafzumessung für den Täter eine Auseinandersetzung des Gerichts mit den vom Täter „verschuldeten Auswirkungen der Tat“.
Der 6. Strafsenat hat sich 93 Wochen Zeit genommen nach dem mündlichen Urteil im Juli 2018. Weshalb haben Sie trotzdem den Eindruck mangelnder Gründlichkeit?
Das Wort Verfassungsschutz taucht nicht auf. Der Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, Andreas T., der in Kassel beim Mord an Halit Yozgat am Tatort war und der im Prozess über Tage hinweg als Zeuge vernommen wurde, wird nicht erwähnt. Über hunderte von Seiten finden sich jedoch immer wiederkehrende Textbausteine.
Weiterlesen:
https://www.tagesspiegel.de/politik/opfe...d/25803608.html
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