Arzt erhebt schwere Vorwürfe gegen Spahn: „Unfassbar, dass ein Gesundheitsminister so auftritt“
Ein Gespräch mit Arzt und Autor Bernd Hontschik über die Fehler der Politik, die Lehren aus der Corona-Pandemie und alternative Modelle der Daseinsvorsorge.
Herr Hontschik, wenn Sie Gesundheitsminister wären, was würden Sie zuerst in Angriff nehmen?
Zuerst zum größten Problem: Ökonomen haben das Kommando übernommen und die Medizin immer mehr an den Rand gedrängt. Sie ist bald nur noch Mittel zum Zweck. Ich bin mit der ganzen Richtung nicht einverstanden, in die das große Schiff Gesundheitswesen gesteuert wird. Wenn die Richtung nicht stimmt, nützen die schönsten Reformen nichts. Das Sozialsystem Gesundheitswesen verkommt zu einer Gesundheitswirtschaft. Dividenden werden aus den Krankenkassenbeiträgen der Solidargemeinschaft generiert. Das muss aufhören. Sozialsysteme kann man nicht optimieren. Man verkauft ja auch nicht die Feuerwehr an Investoren und schaut dann zu, wie Stellen gestrichen werden, weil es länger nicht gebrannt hat.
Es gibt ja die wildesten Spekulationen über Covid-19. Das klingt manchmal so, als sei das Virus erfunden worden, um die Menschen in Angst und Schrecken zu versetzen oder besser kontrollieren zu können. Wie sehen Sie den Zusammenhang zwischen dem Virus und dem Handeln der Politiker*innen?
Ein Virus kann man nicht erfinden. Neue Viren wird es immer geben. Allerdings hat man das ignoriert und sich dann nur noch mit Notstand und autoritärem Regieren behelfen können, als es zu spät war. Einigen Politiker*innen scheint das Regieren im Notstand aber gar nicht so unangenehm zu sein. Jetzt dürfen sie es und hauen dabei atemberaubende Sprüche raus wie zum Beispiel, die Gesundheit habe zu 100 Prozent Vorrang. Das empört mich. Die Gesundheit hatte noch nie Vorrang, schon gar nicht zu 100 Prozent! Sie hatte beim Nachtflugverbot keinen Vorrang, nicht bei den Hospital-Infektionen, nicht beim Glyphosat, nicht beim Tempolimit, nicht bei der Energiewende – und schon gar nicht bei der Wertschätzung und Bezahlung der Pflegekräfte.
Was würde eine alternative Corona-Politik aussehen, die Sie als Minister vorantreiben würden?
Es gibt keine Alternative mehr. Es hätte bis vor einem halben Jahr noch Alternativen gegeben. Man hätte einige hundert Millionen Atemmasken und Schutzkleidung eingelagert haben müssen. Man hätte Betriebe, Kindergärten, Schulen und Universitäten mit Pandemieplänen versorgen und Übungen machen müssen, Krankenhäuser und Heime einbezogen. Vorausschauen und vorsorgen, das wär’s gewesen. Wir haben stattdessen Kinder und alte Menschen zu den größten Verlierern gemacht. Aber was soll man auch von einer Regierung halten, bei der die Familienministerin nicht zum sogenannten Corona-Kabinett gehört?
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https://www.fr.de/panorama/corona-arzt-b...r-13781334.html
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