NEUER ROMAN VON PASCAL MERCIER
Schön gefühlt, aber wozu?
Treffen sich zwei Schiffbrüchige: Pascal Merciers Roman „Das Gewicht der Worte“ handelt von einem erzanständigen Mann und setzt auf kollektives Schulterklopfen.
Die Literatur hat ihre eigene Geselligkeit, aber auch für Autor und Leser gelten Höflichkeitsregeln. Nehmen wir an, dass der Autor ein Gastgeber ist, der durch sein Haus führt: Dann gibt es Ecken, die er dem Leser gern zeigt, andere, die er kaschiert – oder die gerade deshalb gezeigt werden müssen, weil sie schön schmuddelig sind. Es gibt Gesetze des Verweilens, die Dauer entspricht dem Gezeigten; diese Regeln sind andere als etwa in der Philosophie, wo man alle Zeit der Welt hat. In der Literatur sind Regeln der Ästhetik und des Sozialverhaltens verknüpft: Was wegen Überlänge nervt, missfällt dem Geschmack. Anders gesagt: Plaudertaschen sind doppelt verpönt, ethisch und ästhetisch.
Der neue Roman von Pascal Mercier (bürgerlich Peter Bieri, Philosophieprofessor em.) heißt „Das Gewicht der Worte“ und ist zutiefst unhöflich. Dabei läge seinem Helden nichts ferner: Simon Leyland wirkt wie ein exzentrischer, aber erzanständiger Mann, das Abziehbild eines Briten eben. Der einundsechzigjährige Übersetzer ist in einer eigenartigen Lage: Im Sommer noch glaubte er sich an einem Hirntumor erkrankt und verkaufte den Triester Verlag, den seine verflossene Frau Livia ihm elf Jahre zuvor überlassen hatte.
Dann – nach elf Wochen Todesangst – hat er erfahren, dass man ihm Bilder und Krankheit eines anderen zugeschrieben hat. Aktuell ist er in London, wo er in einem geerbten Haus sein Leben neu ordnet. Die Gefühle mischen sich: Die Rückschau auf die überstandene Schreckenszeit, welche ihrerseits eine gedanken- und wortreiche Lebensbilanz enthält, geht über in den Londoner Neuanfang, Abstecher nach Triest, Mailand und Padua inklusive. Nach dem Verlagsverkauf steht Leyland vor viel Geld und wenig Projekten. Das halbe Jahr der Romanhandlung dient seiner Neuorientierung inklusive der Entdeckung seiner schriftstellerischen Berufung.
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