POESIE IM OFF
Ladenhüter Lyrik
Die Zuerkennung des Literaturnobelpreises 2020 an die US-Poetin Louise Glück macht wider Willen deutlich: Dichtung ist zum Randphänomen verkommen
Wer Gedichte schreibt oder mit lyrischen Erzeugnissen Umgang pflegt, muss im 21. Jahrhundert auf Tadel gefasst sein – auch aus dem Munde solcher Zeitgenossen, die sonst vorgeben, Literatur als solcher wohlmeinend gegenüberzustehen.
Als US-Autorin Louise Glück, eine Lyrikerin mit hohem Abstraktionsvermögen, dieser Tage den Literaturnobelpreis zugesprochen erhielt, meldeten sich sofort Kommentatoren mit pikierter Miene zu Wort. Wie könne man allen Ernstes eine Dichterin auszeichnen, die Blumen und Bäume besingt und obendrein ein mysteriöses Naheverhältnis zu Gestalten der Mythologie bekundet, wie der während der Hälfte des Jahres in der Unterwelt wohnenden Persephone?
Lyrik, früher als die Königsdisziplin der Literatur angesehen, wird häufig nur noch mit Achselzucken bedacht. Die Angewohnheit, Wortfolgen ungewöhnlich zu umbrechen und Wörter freiwillig dem Zwang von Metrum und Reim zu unterwerfen, weckt Misstrauen. Was Dichterinnen und Dichter verklausuliert mitteilen, dunklen Sinnes und auf zarten Versfüßen einhergehend, könne man besser ohne Brimborium äußern.
Allen Ernstes wird gegen die Lyrik vorgebracht, sie lasse es an Klarheit fehlen. Wo das Gedicht beschwört, flucht, bittet, zwitschert oder raunt, dort habe, auf die Essenz des Auszusagenden reduziert, die klar umrissene Botschaft zu stehen. Poesie, eine der ältesten Kulturleistungen, wird im Betrieb herumgeschoben wie eine senile Tante. Dazu passt, dass selbst renommierte Poeten von ihren Gedichtbüchern Absatzzahlen im dreistelligen Bereich vorweisen. Vergessen scheint, dass es einst die Dichter waren, die als Mittler die Verbindung zum (mittlerweile von Gott verlassenen) Himmel aufrechterhielten. Victor Hugo nannte das ein "pontificat de l’infini": priesterliche Kontaktnahme mit der Unendlichkeit.
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https://www.derstandard.at/story/2000120...denhueter-lyrik
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Habe neulich das Literarische Quartett eingeschaltet. Die überheblichen Eingangsworte von Thea Dorn zur Verleihung des Literaturnobelpreises, ließen mich den Fernseher gleich wieder ausschalten.
Ich mag sie sehr, die senile Tante, lasst uns ihre Nichten und Neffen sein!
Schenke der Welt mein Lächeln,
morgen lächelt sie zurück.
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