BÜCHNER-PREIS
Verwirrung der Sesshaften
„Das ist hier der Fall“: Ausgewählte Gedichte von Elke Erb, die mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet wird.
Rechtzeitig zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises an Elke Erb legen Steffen Popp und Monika Rinck eine Auswahl aus dem Werk der Dichterin vor, die dessen wundersame, beharrliche Entfaltung nachzuvollziehen erlaubt. Ein Text ist hier abgedruckt, der aus dem 1987 in Berlin und Weimar erschienenen Band „Kastanienallee“ stammt und in all seiner Sperrigkeit als Paukenschlag der neueren deutschen Lyrik begriffen werden muss. Die zu dieser Zeit in Ostberlin lebende Dichterin hat sich in die Dusche ihrer „sanierten Drei-Raum-Komfort-Wohnung“, wie es im Jargon der DDR hieß, zurückgezogen, um in all ihrer Ohnmacht, die sie als Kritikerin des realen Sozialismus empfindet, zu sich selbst zu finden und sich als selbstständiges, aus dem Kollektiv herausgelöstes Individuum zu bejahen.
In der Dusch-Tasse hockend, entwirft sie zugleich ein kühnes literarisches Schreiben, das dem aus dem 19. Jahrhundert stammenden, in ihrem Teil Deutschlands staatstragenden Fortschrittsdenken den Abschied gibt und, indem es die gewohnte Ordnung der Syntax sprengt und einzelne Syntagmen frei über die Seite streut, gleichsam Stéphane Mallarmé an den Prenzlauer Berg holt. Mit Elke Erbs scheuer Entdeckung des Selbstbewusstseins geht eine „Verwandlung des linearen Gangs in die Offenheit einer flächigen Erörterung“ einher, die mit den Entwicklungen der neueren Philosophie im Einklang steht.
Manches an den frühen Gedichten erinnert an bestimmte Schwarz-weiß-Fotos, die aus der Zeit der DDR überliefert sind und oftmals die Ratlosigkeit der Menschen bezeugen. Elke Erb porträtiert einen alten Mann, der „traumlos sitzt, traumlos geht“, oder stellt sich in einem Erich Arendt gewidmeten Prosatext auf erschütternde Weise selbst als Frau dar, der, obwohl sie doch nach dem Desaster des Faschismus anfänglich im besseren deutschen Staat zu leben glaubte, mittlerweile ein eigenes Denken, Phantasieren und Hoffen verwehrt ist: „Holz die Stirn, die Wangen eingeschraubte Bretter wie die Schläfen“. Fortan arbeitet sie an ihrem Selbstsein; sie will nicht länger „Relais der Anderen“ sein.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/elke-...n-90078726.html
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