Schön verkommen
Mit Simon Raven lanciert der Elfenbein Verlag wieder einen Autor mit Kultpotenzial
Mit dem Romanzyklus Ein Tanz zur Musik der Zeit von Anthony Powell ist dem feinen Elfenbein Verlag zu Recht ein Coup gelungen. Nun legt der Verlag mit Powells Landsmann Simon Raven (1927 – 2001) nach. Almosen fürs Vergessen heißt dessen Zyklus, der erste nun veröffentlichte Band ist schlicht nach dem Helden der Reihe benannt: Fielding Gray. Das Original erschien 1967, es war nicht der erste Roman der Reihe, aber der im Zeitenlauf am frühesten angesiedelte, und er spielt in einem ähnlichen Milieu wie Powells Tanz – der britischen oberen Mittelschicht – und zu einer vergleichbaren Zeit – dem tiefen 20. Jahrhundert, hier im Jahr 1945.
Reden wir nicht um den heißen Brei herum und fragen: Vermag der Roman die hohen Ansprüche der Powell-Fangemeinde zu befriedigen? Nun, nach dem ersten Viertel des Romans war ich geneigt zu sagen: nein. Denn hier wird uns ein Coming-of-Age-Roman verkauft, der zwar ganz interessant ist – ein siebzehnjähriger College-Schüler und Fabrikantensohn entdeckt die Homosexualität, verliebt sich in einen Mitschüler, verführt ihn, das Ganze wird zur einer delikaten und schmerzvollen Sache, die durch die zuweilen drastische Schilderung von Sex erstaunt, was dann auch für die heterosexuellen Kontakte gilt, die Fielding gleichfalls pflegt – aber ein packender Gesellschaftsroman ist das nicht.
Nach weiteren zweihundert Seiten ist dieser Christopher ein ..., aber das sei hier nicht verraten, der Held wird jedenfalls nicht wie geplant sein Studium antreten, sondern zur Armee gehen, wo ihm sein Schulfreund Peter Morrison sagt: „Du hast dich heute Abend als der gezeigt, der du bist. Ein schlauer, oberflächlicher, bezaubernder Kerl, der aus Selbstmitleid flennt, weil er eine Lüge erzählt hat und es rausgekommen ist.“ Bezaubernd heißt: ein Schönling, doch was hilft es? Darin erinnert Fielding Gray an Dorian Gray (das Buch ist voller Anspielungen auf Oscar Wildes Roman). Weil aber die Lüge nicht die einzige in dem Roman ist, und weil zu den Lügen die Intrigen der Schulkameraden, der falschen Freunde der Familie und sogar der eigenen Mutter dazukommen, kann man sagen: Natürlich entwirft Simon Raven über den Coming-of-Age-Roman hinaus ein scharfes Sittenbild der besseren britischen Gesellschaft am Ende des Zweiten Weltkriegs.
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