Anne Pauly: Bevor ich es vergesse
"Bevor ich es vergesse", der erste Roman von Anne Pauly, wurde auf Anhieb als Lieblingsbuch im französischen Buchhandel gewählt und mit dem Publikumspreis für das beste Buch des Jahres ausgezeichnet.
von Annemarie Stoltenberg
Man könnte es auch lesen wie ein Lehrbuch für den Abschied vom sterbenden Vater. Alle verschiedenen Stadien werden vorkommen und beschrieben. Zuerst die Fahrt zum Krankenhaus, aus dem die Nachricht kam, zusammen mit dem Bruder. Beide versuchen zu verstehen, was hier geschieht:
Während ich seine Hand hielt, die in meiner langsam kalt wurde, wünschte ich mir von ganzem Herzen, niemals seinen Duft zu vergessen und wie weich seine trockene Haut war. Ich habe mich dafür entschuldigt, dass ich nicht begriffen hatte, dass er tatsächlich im Sterben lag (…) Wir sind noch ein letztes Mal rein, zur Sicherheit. Dann haben wir die Reusen eingeholt, wie er immer sagte. Das Leben, diese Angelpartie.
Der Vater der Ich-Erzählerin war, vorsichtig gesagt, schwierig. Stück für Stück erfahren wir, dass er gewalttätig gegenüber seiner Familie war, vor allem seiner Frau, und dass er jahrelang offenbar viel zu viel getrunken hat. Beeindruckend an diesem Text ist, mit welcher Liebe die Tochter ihrem Vater begegnet, bereit ist zu verzeihen und ihn beim Sterben zu begleiten. Sie schildert seine Krankheiten, sein immer wieder Angst und Schrecken verbreitendes Wesen, aber sie liebt ihn, denn jetzt ist für sie der Moment gekommen, in dem man verzeiht; auch wenn es da noch einen Vorwurf gibt, dann wird er mit ihm sterben.
Beim Tod des Vaters erinnert sie sich auch an den Abschied von der Mutter, der noch wesentlich schmerzhafter für sie gewesen sein muss. Noch lange Zeit nach ihrem Tod rief sie zuhause an, um ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter zu hören.
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