Anne Tyler: Drei Tage im Juni

Anne Tylers neuer Roman liest sich wie eine Verabredung mit der besten Freundin. Man ist ohne Vorgeplänkel mittendrin: Aktuelles, Vergangenes, ein bisschen Drama, kleine Spitzen. Manchmal ausufernd, immer ermutigend.
von Claudia Ingenhoven

Wer im Buchladen nur mal kurz in diesem Roman blättern will, läuft Gefahr, sich festzulesen. Gail wird morgens von der Nachricht überrascht, dass ihre Schulleiterin vorzeitig in Rente geht. Aber anders als geplant, will sie Gail nicht als Nachfolgerin vorschlagen, ihr fehle einfach die Sozialkompetenz. Gail verlässt aufgebracht die Schule und fährt nach Hause. Zur Besinnung kommt sie nicht. Ihr Ex-Mann steht samt Katzenkorb vor der Tür. Er ist zur Hochzeit der gemeinsamen Tochter angereist, kann aber nicht bei ihr übernachten. Der Bräutigam leidet unter Katzenallergie. Was bleibt Gail anderes übrig, als Max zu beherbergen. Die Scheidung ist 20 Jahre her, die Zeit eisigen Schweigens überwunden.
In Hinblick auf seine Kleidung hatte er offenbar kapituliert; sein Standard waren ausgeleierte Strickoberteile und weite Khakihosen. Hoffentlich hatte er für die Hochzeit einen Anzug dabei. Bei ihm wusste man nie.

Wir lernen in diesem Roman ein amerikanisches Spektakel kennen: Am Vorabend der Hochzeit wird die Zeremonie geprobt; samt Pastor, Trauzeugen und einem Brautstrauß aus Altpapier. Alles Fake, aber die Animositäten unter den Verwandten können sich schon mal entfalten. Zumal der Tochter gerade gesteckt worden ist, dass ihr Bräutigam noch kürzlich mit einer anderen geschlafen hat. Gail möchte ihre Tochter retten und die Hochzeit absagen. Max dagegen findet, sie als Eltern dürften sich nicht einmischen. Vielleicht stimmt die Sache gar nicht, vielleicht hat die Schwägerin böswillig ein Gerücht verbreitet. Über Konflikte reden, war noch nie Max' Stärke. Er hatte damals einen Seitensprung von Gail entdeckt und nach kurzem Schock so getan, als wäre nichts passiert.

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