Anne Rabe: Die Möglichkeit von Glück
„Die Möglichkeit von Glück“: Anne Rabe und ihr beinharter Roman über eine Kindheit in Mecklenburg.
Die Möglichkeit von Glück“ ist ein unerbittliches Buch. Dinge stehen darin, die keiner wissen will – das eben ist ein Teil des Problems, das „Die Möglichkeit von Glück“ schildert –, zugleich kann man Anne Rabe nicht vorwerfen, sie verallgemeinerte über Gebühr. Sie erzählt von einer Kindheit in Mecklenburg, die ihrer eigenen ähnlich sein dürfte. In diesem Sinne versteht man es auch, wenn ihr kleiner Bruder Tim sagt: „Du musst das alles aufschreiben.“ Auch „Die Möglichkeit von Glück“ ist als Roman etikettiert – und sicher nicht nur etikettiert, der Autorin wird es Freiheiten geben – und auf die Shortlist für den Deutschen Buchpreis gelangt. Und auch das literarische Prosadebüt der Dramatikerin und Essayistin Rabe ist im Kern ein Buch über eine Mutter.
Dass die Erzählerin, die im Buch Stine heißt, den Kontakt zu ihr vollständig abgebrochen hat, erfährt man früh, das Drama dahinter erst allmählich. „Meine Kindheit bleibt ein dunkler Traum, aus dem ich nicht aufwachen kann“, schreibt Stine. „Geburtstagskerzen, Familienfeste, Ferienlager. So von außen sieht es schön aus, aber wenn ich einmal hineintrete, entfaltet sich vor mir ein düsteres Labyrinth. Es hat keinen Ausgang.“ Dass „Die Möglichkeit von Glück“ keine „Betroffenheitsprosa“ ist, obwohl es sich um die Prosa einer zweifellos Betroffenen handelt, macht Rabes offener, geschwinder Ton. Dazu kommt eine präzise Nüchternheit, wenn es etwa darum geht, wie sie mit ihrer Freundin Ada an ihren Selbstverletzungen arbeitet. „Zum Beispiel versuchten wir einen Nachmittag lang gemeinsam, mir den Arm zu brechen.“ Der Plan ist ausgetüftelt. „Aber der Arm hielt. Irgendwann gaben wir auf.“
Auch denkt Stine, die Trennung von der Mutter sei gelungen, gelungen im Sinne von: endgültig. Nun kommt ein Brief, in dem sich die Mutter an das ältere Enkelkind wendet. Ein Schock, vielleicht ein Katalysator. Eine Geschichte der Prügelstrafen und Kopfnüsse, der Lieblosigkeit und Knallhärte faltet sich allmählich auf, sparsam, wie mit einem Suchscheinwerfer immer wieder einmal aufgestöbert und scharf ausgeleuchtet. Am schlimmsten ist vermutlich die Geschichte mit dem viel zu heißen Wasser in der Badewanne. Die Kinder trauen sich nicht raus. Der Vater kommt nach Hause und hält sie für Jammerlappen. Schließlich fasst er ins Wasser und ist entsetzt. Es ist das „eine Mal, als Vater mich gerettet hat“.
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