Der alte Mann stand am Gestade und blickte in den Sonnenuntergang.
Dieses Bild hat doch irgendwie etwas Tröstlich-Anheimelndes an sich. Dramatische Unaufgeregtheit, Natur in rauen Mengen, Abschied vom Tag, Kreislauf der Dinge und im Verhältnis dazu ein kleines Menschlein, welches verharrt, guckt und sich besinnt, etcetera. Wie von Caspar Friedrich gemalt und mit Schubert vertont.
Allerdings würde kein möglicher Zuschauer behaupten, dieser Mensch dort zöge ein zufriedenes Gesicht. Nein, ein zufriedener Mensch sieht völlig anders aus. Zum Beispiel wären die Mundwinkel nach oben gebogen und nicht nach unten, nicht so, als ob die Schwerkraft einen weiteren Sieg errungen hätte und demnächst mal so richtig zur Sache kommen wolle. (Backen, Wangen, Bauch und Nase) Ein zufriedener Mensch lässt nicht die Schultern hängen, als ob jeglicher Hoffnung beraubt, und kickt auch nicht dabei, wie zornig, unschuldige Steine über den Sand.
Zufriedene Menschen murmeln keine Sätze vor sich hin, die total negativ klingen: „Wenn älter werden einen Vorteil mit sich bringt, dann den, sich nicht mehr die Zukunft versaubeuteln zu können. Ha! Das habe ich schon in meiner Jugend erledigt. Gehört vermutlich zu den Wundern der Natur.“
Inzwischen könnten wir zu Recht vermuten, keinen zufriedenen Menschen vor uns zu haben. Aber um ganz sicher zu sein, sollten wir noch ein wenig verweilen.
„Kein Marlin, kein Boot, keine letzte Schlacht, kein Sieg, keine Niederlage. Ich heiße nicht Santiago und werde bestimmt nicht von Löwen träumen in meiner Erschöpfung. Mein Leben ist keine gekonnte Romanvorlage. Das Buch meines Lebens besteht vermutlich nur aus Sätzen wie: „Stand auf und ging ins Bett.“, lohnt also nicht der Niederschrift oder zu lesen.
Die Banalität der Ereignisse und die Geschichten, welche nur existieren, wenn Menschen diese Ereignisse aneinander kleben um Bedeutung und Sinn zu simulieren. All diese Märchen in unseren Köpfen.
Und Gevatter Tod schleicht sich auch langsam näher. Es steht zu vermuten, dass die Wahrscheinlichkeit einer Offenbarung zunehmend unwahrscheinlicher wird, obwohl ich immer strebend mich bemühte, wie ich gerne behaupte, ungeachtet der Tatsachen. Es gibt eine Wahrheit hinter den Offensichtlichkeiten, die nicht unbedingt identisch sein muss mit der Realität. In dieser Wahrheit waren meine idiotischsten Taten gebenedeiet, da der Suche nach Wahrheit gewidmet. Das entschuldigt vieles.
„Ja? War das nicht doch etwas anders? Wem versuchst Du hier Einen vor zu machen?“
„Ach du Scheiße!“
„Hähä.“
„Unwillkommen Überich.
dich schätze ich nicht sonderlich.“
„Komm, begrüßt man so einen guten Freund?“
„Ach. sag schon dein besserwisserisch-moralinsaures Sprüchlein auf und hau schnell wieder ab.“
„Ich mein ja nur. Du stehst hier wütend schier herum, beklagst deine Bedeutungslosigkeit und beschwerst dich über die Sinnlosigkeit einer Suche nach Sinn. Ja, auf rein intellektueller Ebene ist dir wohl klar, dass Sinn nicht gegeben, sondern erkämpft werden muss. Aber etwas tiefer, auf unbewusster Ebene, dort, wo auch das Selbstbildnis und der Intellekt teilweise ihre Wurzeln haben, da fühlst du dich verraten und verkauft, schlichtweg betrogen, vielleicht sogar ödipapalig. Wie öde.“
„Sag ich doch.“
„Moment, ich bin noch nicht fertig. Entsprechend stricktest du dein Schicksal. Ich sage nur: Drogen! Du hast 1.000 Mal gegen die Drogen gewonnen, bloß um kurz nach dem Sieg einen wohlverdienten Breitkopp zu praktizieren. Nennst du das etwa ‚Schlau’ und ‚Gewonnen’! Diese Achterbahn von Konsum, Verzicht, Siegesfeier und erneutem Konsum hat keinen Platz gelassen für andere Entwicklungen und das war dein selbst gewähltes Schicksal. Ein Sisyphus der Gegenwart, nur ganz ohne Götterquatsch.
Dein Marlin hieß: ‚Zentrales Nervensystem beeindruckende Biochemie, auf dass du selig lächeln mögest, wie ein satter Säugling’ und das ist dir im Nachhinein gewiss mehr als peinlich. Du hast nicht 90 Tage gekämpft, sondern über 40 Jahre!“
„Aber ich ergab mich nicht! Drogen hätten mich, als Referenz an Hemingway, ‚vielleicht vernichten können, aber niemals besiegen’.“
„Blah mit Fransen. Du bist einfach nicht wütend genug, um irgendetwas zu tun, bzw. würde es in deinem Fall auch schon genügen, einige der schlimmsten Angewohnheiten aufzugeben. Mal beweisen, wer hier das letzte Wort hat. Du bist zu faul, vielleicht sogar zu feige, dich der Welt mit klarem Kopf zu stellen und letztendlich nur eine weitere Person, die rumnörgelt, als Teil der Probleme und nicht der Lösungen.
Und nun bist du beleidigt? Mit welchem Recht?“
Der alte Mann zuckt mit den Schultern. „Ich würde mir wie ein Verräter an meinem bisherigen Leben vorkommen, wenn ich plötzlich Vernunft walten ließe.“
Das Überich löst sich auf. Das Es hatte gewonnen.
Das Ich begibt sich auf die Suche nach einer Strandbar. Caspar Friedrich packt die Staffelei zusammen, Freud wälzt sich im Grabe auf die andere Seite, ein Fisch atmet auf, Gevatter Tod schleicht sich und die Sonne ist auch gerade untergegangen…
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Ganz interessant das vielfältige Selbstgespräch über die (Un-)Zufriedenheit des eigenen Daseins.
Die meisten Menschen suchen ja verzweifelt nach dem Sinn des Lebens, hauptsächlich nach dem eigenen, anstatt sich zu fragen, warum gerade solche Dödel wie sie auf die Welt gekommen sind. Mich würde ja viel mehr interessieren, warum ein Karl Meier aus Gütersloh das Licht der Welt erblickt, anstatt Idi Kamantu aus Uganda. Und ich meine das nicht biologisch.
Ein schöner philosophischer Beitrag, klsa.
Sirius
Reset the World!
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Wäre ja noch schöner, hätte nicht das Ich eine passende Ausrede dem Arschloch gegenüber in petto. Ich mag deine augenzwinkernden, philosophischen Betrachtungen, klsa!
Lottegrüße
Schenke der Welt mein Lächeln,
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Apropos Arschloch. Mir ging da neulich eine Frage durch den Kopf, die ich mir nicht zufriedenstellend beantworten konnte. Vielleicht könnt ihr mir ja weiterhelfen.
"Mein Überich ist ein Arschloch"
Überich - Neutrum
Arschloch - Neutrum
Passt!
Was aber mache ich mit dem Satz: "Mit Verlaub, Frau Präsidentin, sie sind ein Arschloch!"? Das kann man doch so nicht denken, geschweige denn sagen. Frau Präsidentin wäre zu Recht beleidigt, angesichts der verbalen Geschlechtsumwandlung.
"Mit Verlaub, Herr Präsident, sie sind ein Arschloch!", ist auch nicht viel besser, doch an diese sprachliche Verbiegung hat man sich mittlerweile gewöhnt.
Müsste es nicht korrekt heißen: der Arschlocher bzw. die Arschlocherin, die Arschlöchin, die Arschlochin oder die Arschlöcherin?
Ihr seht, ich stecke in einem echten sprachlichen Dilemma, zumal ich diesen Satz in spätestens vier Wochen, wenn nicht sagen, so doch zumindest korrekt denken muss.
Auf eure Hilfe hoffend
Lotte
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Liebe Lotte,
wenn du nur denken musst, könnte das doch dein Überich übernehmen.
Und wie ist es dezent: der Arsch, die Ärschin? Klingt schon fast lieb für einen Arsch.
Rein bildlich könnte ich aushelfen:
Reset the World!
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Die Ärschin klingt mir eindeutig zu lieb für diese "Frau"! Und ob es nur beim Denken bleibt, dafür kann ich nicht garantieren.
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Ich seh schon, es bleibt schwierig. Werde wohl dieses Lied auswendig lernen müssen:
https://www.youtube.com/watch?v=ugm-EqFaP4s
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