Bryan Washington „Dinge, an die wir nicht glauben“: Er schickt seinen eigenen Himmel
Wie ihnen der Schnabel gewachsen ist: Bryan Washingtons Roman „Dinge, an die wir nicht glauben“.
Mike fliegt nach Osaka, aber seine Mutter kommt nach Houston“: Mit einem Satz, dessen Hintergrund die Leserin gern gleich mal erklärt haben würde, der eigentlich nur Fakten enthält, trotzdem rätselhaft ist (denn warum tun sie das?), beginnt Bryan Washingtons Debütroman „Dinge, an die wir nicht glauben“. Es ist ein typischer Bryan-Washington-Satz – beziehungsweise ein typischer Benson-Satz. Der Afroamerikaner Benson und der japanischstämmige Michael sind die Ich-Erzähler des Romans (bis Seite 146 Ben, dann Mike, dann nochmal Ben), sie sprechen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, in kurzen Sätzen und Dialogen, die lässig klingen, selbst wenn sie angespannt sind. Mike dabei mehr fluchend als Ben, etwa über seine „fucking Drecksreise“ nach Osaka.
Aber warum fliegt er denn dann nach Osaka, während seine Mutter doch gerade nach Texas gekommen ist, um ihn zu besuchen? Washington vermeidet es, seine beiden Erzähler sich offensichtlich an die Adresse eines Lesers, einer Leserin richten zu lassen. Aber man erfährt relativ bald, dass Mikes Vater Eiju Krebs hat und nicht mehr lange leben wird, dass sein Sohn ihn auf diesem letzten Weg begleiten will, obwohl Eiju die Familie verlassen hat, als Mike noch ein Kind war. Nicht einmal miteinander telefoniert haben sie in vielen Jahren, Mike glaubt, dass auch seine Mutter keinen Kontakt zu ihrem Mann hatte, aber dann erwähnt Mitsuko, dass Eiju todkrank ist. So ist Mike nun weg, sitzen Ben und Mitsuko in einer winzigen Wohnung in Houston, beäugen sich, missverstehen sich, gewöhnen sich aneinander. „So, sagt Mitsuko, wie lange schläfst du schon mit meinem Sohn?“
Große Themen, aktuelle Themen sind in diesen Roman gepackt, ohne dass sein Autor viel Aufhebens darum macht. Wie nebenbei, anhand von kleinen Vorfällen, ganz ohne Dramatik erzählt Washington von Rassismus, Schwulenhass und HIV (Benson ist „positiv“), von Armut, Alkoholismus, vor allem auch von einem Leben in der Fremde – bis man hoffentlich einmal nicht mehr fremd ist – und der Sehnsucht nach einem Zuhause.
Aber was ist, wo ist Zuhause? Die Menschen, die man kennt und mag? Der Ort, wo man bisher die meiste Lebenszeit verbracht hat? Dort, wo die vielbeschworenen Wurzeln sind? Einmal liegen Ben und Mike zusammen unter einer Decke, „die die Mutter meiner Mutter in Kanazawa gestrickt hatte“. Und in Osaka lernt Mike von einem Koch: „Alle Japaner organisieren ihre Küche gleich“. Das hat er nicht gewusst; aber woher hätte er es auch wissen sollen, er ist ja in den USA aufgewachsen.
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https://www.fr.de/kultur/literatur/bryan...l-90930563.html
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