Kollektiv verblödet
.. das doch die „Wahl unseres Lebens“ sein, oder: „Der Wahlkampf unserer Leben“, wie es taz-Chefreporter Peter Unfried kürzlich nannte. Auch er ist der Überzeugung: In den vergangenen Wochen ging einiges schief, und daran seien „die Medien“ nicht ganz unschuldig. Sie hätten den Kanzlerkandidat*innen viel zu viel durchgehen lassen. Und das in einer Zeit, in der es ums Existenzielle geht.
Ist das wirklich so? Im letzten Triell sprach Annalena Baerbock von sieben Metern Meeresspiegelanstieg. Sie beruft sich implizit auf ein Szenario, in dem die Erderwärmung nicht begrenzt wird. Es ist ein fiktives Szenario, aber es basiert auf Berechnungen, die anhand der schon jetzt nicht zu leugnenden Realität vorgenommen wurden. Wenn so gar nichts gegen die Erderwärmung unternommen wird, könnten in 80 Jahren weite Teile des heutigen Festlandes unter Wasser stehen und Extremwetter zum Alltag gehören. Aber auch sonst mangelt es nicht an Problemen: eine gigantische soziale Ungleichheit, wachsender Antisemitismus und Rassismus, Fake News und Verschwörungsideologien, Wohnkrise, Rohstoffkrise, und, ach ja, eine Pandemie haben wir ja auch noch.
Es ist nun nicht so, dass keines dieser Themen im Wahlkampf eine Rolle gespielt hätte. Gleichzeitig ging es aber auch um Currywürste, Lastenräder, Lebensläufe und allerlei andere Belanglosigkeiten. „Urlaub: Lieber an der Ostsee oder auf Mallorca?“, fragten Pinar Atalay und Peter Kloeppel in der Schnellfragerunde des zweiten Triells die Kandidat*innen. Man kann sich gut vorstellen, wie die Redaktion das für eine wahnsinnig geistreiche Idee hielt: Wenn sie Malle sagt, haben wir sie! Die vierte Gewalt schlägt zurück! Wer meint, das ginge kaum blöder, dem sei ein Ausschnitt der n-tv Wahlkampfberichterstattung empfohlen: „An dieser Stelle muss ich dich unterbrechen, wir sehen hier Markus Söder und Armin Laschet, wie sie ihre Nürnberger Bratwürste serviert bekommen.“
Mitte August waren laut einer weiteren Umfrage knapp 80 Prozent der Befragten der Meinung, dass es im Wahlkampf zu wenig um Inhalte ginge. Einen Monat später, kurz vor der Wahl, hat sich dieser Wert kaum verändert.
Es verwundert nicht: Die Art, wie heute in Deutschland Wahlkampf geführt wird, hat sich verändert. Persönlichkeiten werden wichtiger, politische Inhalte nebensächlicher. Die Kandidat*innen sollen ihres Images beraubt werden, das sie sich sorgfältig zurechtgelegt haben (lassen). Sie sollen nahbar werden. Oder, wenn das alles nicht geht, dann sollen sie sich wenigstens zünftig aufregen, um endlich aus ihrem glatten Politsprech auszuscheren.
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