Gorillas, Lieferando und Co.
Die Mittelschicht bestellt, das Prekariat liefert
Liefern lassen macht das Leben leichter, keine Frage. Doch im Boom der Lieferandos, Gorillas und Co. wird auch ein neuer Klassenkonflikt deutlich, meint Ann-Kristin Tlusty. Der wird aber nicht dadurch gelöst, dass man nicht mehr dort bestellt.
Dienstboten kennen die meisten nur aus Romanen oder Filmen. Einst waren die aristokratischen Eliten für ihren herrschaftlichen Lebensstil auf eine umfassende Dienstbotenökonomie angewiesen. Doch in gewisser Weise ist diese Lebensform zurück – in Form von Lieferdiensten.
Keine Frage, liefern lassen macht das Leben leichter. Ob Lebensmittel oder Lunch: Zum bisherigen Monopolisten Lieferando gesellen sich zunehmend Start-ups, die eine unkomplizierte Alternative zu Supermarkt- und Restaurantbesuch versprechen. Durch die Gorillas-App navigiert es sich schneller als durch jeden Supermarkt, Wolt wirbt mit Lieferungen in Rekordzeit und die Kochboxen von HelloFresh sind nahezu idiotensicher.
Die Corona-Pandemie, in der es das virologisch Sinnvollste war, auf dem Sofa zu bleiben und das Leben vollständig in den digitalen Raum zu verlagern, hat die prompte Servicementalität nur befeuert – zumindest in den Großstädten, auf die sich das Essenslieferphänomen bislang beschränkt.
„Menschen haben ein Recht auf Faulheit“, äußerte Nazim Salur, Gründer des türkischen Lieferdienstes Getir, kürzlich in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, und genau diese Haltung ist es, die die betont juvenilen Werbekampagnen der Anbieter transportieren. Kühlschrank leer? Flink's dir. Doch längst nicht allen steht diese kostspielige Mentalität offen. Vielmehr zeigt sich in der Welt der fix apportierten Mahlzeiten eine Klassenkonfrontation: Die einen bestellen, die anderen liefern.
Diese Entgegensetzung entspricht der Diagnose des Soziologen Andreas Reckwitz, nach der sich die Mittelklasse zunehmend in eine gutsituierte, akademische neue Mittelklasse und eine prekarisierte, oftmals migrantische „service class“, also Dienstleistungsklasse, aufteilt. In den urbanen Ballungszentren träfen diese beiden Klassen aufeinander, so Reckwitz.
Der kollektive Fahrstuhleffekt, mit dem die Soziologie in den Achtzigerjahren noch beschrieb, wie die Klassengesellschaft gemeinsam eine Etage höher fahre, ist demnach längst passé. Vielmehr sei ein Paternostereffekt zu beobachten: Während die einen aufsteigen, steigen die anderen ab.
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