Die Flucht einer Frau
Anna Kavans Sci-Fi-Roman „Eis“ erzählt von der Grausamkeit männlicher Liebe
Die britische Schriftstellerin Anna Kavan war zeit ihres Lebens eine außergewöhnliche, wenngleich auch stets randständige Figur des Literaturbetriebs. 1901 in Cannes geboren, begann sie Ende der 1920er Jahre als Helen Ferguson mit eher mäßigem Erfolg, sozialkritische Romane zu schreiben, die meist von in kleinbürgerlichen Vorortmilieus eingesperrten Frauen erzählten. Gut zehn Jahre später änderte die an Depressionen leidende, jahrelang suizidgefährdete und heroinabhängige Schriftstellerin nach dem Aufenthalt in einem Schweizer Sanatorium ihren Namen in Anna Kavan um. So hieß zum einen die weibliche, gegen gesellschaftliche Zwänge ankämpfende Hauptfigur in einem ihrer Romane, zum anderen sollte der neue Name, der nicht nur ein schriftstellerisches Pseudonym war, an Franz Kafka erinnern. Im angloamerikanischen Raum erlebt Anna Kavan, in deren dystopischem Werk sich ebenso feministische Positionen wie eine Thematisierung der damals noch kaum wahrgenommenen Umweltzerstörung finden, gerade eine verstärkte Rezeption.
Ihr wichtigster Roman Eis, ein literarisch anspruchsvoller Text, der ebenso autobiografische wie experimentelle Züge trägt und außerdem eine komplexe Science-Fiction-Erzählung bietet, erscheint nun erstmals in der auf literarische Perlen spezialisierten „Forward Fiction“-Reihe des Diaphanes-Verlags auf Deutsch – 50 Jahre nachdem das englische Original herausgekommen ist. Der knapp zweihundertseitige Text wird aus der Perspektive eines Mannes erzählt, der auf der Suche nach seiner ehemaligen Geliebten um die halbe Welt reist, um sie immer genau dann wieder zu verlieren, sobald er sie gefunden zu haben glaubt. Die Erde versinkt währenddessen in Krieg, Zerstörung und Chaos. Das titelgebende Eis ist ebenso eine Allegorie für diese tödliche, immer weiter voranschreitende Bedrohung wie auch eine ganz materielle Erscheinung. Denn riesige Eiswände überziehen den Planeten, frieren die Meere ein und bedecken alles mit einer weißen Schicht aus Eis und Schnee. Während der Erzähler durch verschiedene Städte und Länder reist, in denen die globale Katastrophe bereits mehr oder weniger vorangeschritten ist, trifft er auch auf den neuen Liebhaber seiner Freundin. Der ist Politiker und seine Macht wächst im Lauf der zunehmenden Katastrophe immer weiter an. Erst ist er für den Erzähler eine Art Freund und sogar Helfer in der Not, dann wird er plötzlich zur eigentlichen Bedrohung.
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