Schöner lügen
Eshkol Nevo spielt in „Die Wahrheit ist“ mit dem eigenen Leben: Was ist hier wahr, was Fake?
Gibt es in einer Welt so unterschiedlicher Kontexte und Perspektiven die Wahrheit? Wo verläuft die Grenze zwischen Fakt und Fiktion? Das sind uralte Fragen, auf die Eshkol Nevo originell eingeht. Sein neuer Roman ist das Ergebnis einer gemeinen Schreibblockade. Der israelische Erfolgsautor fand aus seiner Lähmung, indem er endlich die Fragen seiner Leser beantwortete, manche darunter fast intim. Nur durchs Schreiben, so erklärt er, könne er sich vom Ballast schmerzhafter Erinnerungen lösen, wie ein Fluggast vom Übergepäck. Aus der Beantwortung der Leserfragen entstand fast wie von selbst ein „sehr ehrliches, sehr offenes Buch“, so der Autor. Der 48-Jährige ist darin sein eigener Protagonist. Dieser leidet unter einer „schmorenden Missstimmung“, weil seine Frau und Tochter sich von ihm entfremdet haben und einer seiner besten Freunde an Krebs stirbt. Nevo schreibt seinen Lesern wie guten alten Freunden. Entwaffnend aufrichtig berichtet er von einem Seitensprung auf Lesereise in Kolumbien und seiner Frau, die sich trennen will, seinem Liebeskummer, der Werbetexterei für einen korrupten Emporkömmling in der Politik, über seine Gedanken und Gefühle.
Bewusst entlässt der ausgebildete Psychologe seine Leser nicht aus der Ambivalenz. Er verführt sie mit Figuren und Geschichten, die zwischen wahr und erfunden changieren, füttert sie mit autobiografischen Fetzen und Erfindungen, mit Anekdoten, die für sich eine neue Wahrheit zu schaffen scheinen, aber nicht immer der Realität entsprechen. Es ist auch eine fabelhafte Anleitung zum Schreiben – das lehrt der Autor in Israel tatsächlich. Er nennt sich einen „professionellen Wahrheitsverdreher“.
Im Roman fühlt seine eigene Frau sich nicht mehr imstande, zwischen seinen Fantasien und ihrer gemeinsamen Lebenswirklichkeit zu unterscheiden. In diese Grauzone von Fakt und Fake gerät auch der Leser, der sich bei der Vielstimmigkeit einen Standpunkt aussuchen kann und glauben, was er will. Es passt ziemlich gut ins reale Zeitalter der sozialen Medien, des Populismus und Rechtsrucks.
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