Der Vater
Autor Hans Pleschinski überlegt, wie das Elternhaus auf sein heutiges, bürgerliches Leben einwirkte
Präzise der Diagnose folgend, starb mein Vater vor einigen Jahren an einer seltenen Krankheit. Zuerst schwand die Beinmuskulatur. Dann versagten die Hände ihren Dienst. Schließlich erstickte er.
In seinem Wirkungskreis hinterließ mein Vater seine ganz eigenen Spuren.
Als wir seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag in großer Runde in einem Gasthaus der Lüneburger Heide feierten, ertönte vor den Fenstern plötzlich laute Musik. Ein Durcheinander von Posaunen, Trompete, Triangel und Trommeln. Ungefähr dreißig ehemalige Lehrlinge, die er im Laufe der Jahre ausgebildet hatte, hatten sich verabredet, sich Instrumente besorgt, geprobt und brachten meinem Vater völlig unerwartet das ehrenvollste Ständchen, das ich je gehört habe.
Mein Vater wurde 1921 östlich von Frankfurt an der Oder geboren. Sechs Jahre lang erlitt der junge Mann den Krieg. Im April 1945 durchschwamm er unter Lebensgefahr die Elbe, um der russischen Gefangenschaft zu entgehen. Im niedersächsischen Städtchen Wittingen heiratete er schließlich meine Mutter und übernahm die kleine Schmiede ihrer Eltern. Alteingessene Schmiedemeister hörte er eines Tages tuscheln: „Den Fremden kriegen wir weg.“ Dem wurde nicht so. In den Nachkriegsjahren absolvierte er drei Meisterprüfungen als Schmied, in Hufbeschlag – das Schwierigste, da es auch veterinär-medizinische Kenntnisse erforderte – und als Bauschlosser. Bereits als Sohn eines Bergarbeiters hatte mein Vater durch morgendliches Glockenläuten Geld dazuverdienen müssen. So machte es ihm wenig aus, auch an Wochenenden zu arbeiten und an Urlaub gar nicht zu denken. Unsere Schmiede blieb als einzige bestehen.
Es sprach sich herum, dass mein Vater ein guter Ausbilder sei. Verzweifelte Eltern brachten ihm junge Rabauken und sagten: „Wir werden mit unserem Jungen nicht fertig. Können Sie etwas aus ihm machen, Meister? Er braucht auch manchmal ein paar hinter die Ohren.“
Ich glaube nicht, dass er die wilden Burschen schlug, aber er formte aus ihnen auch durch Strafarbeit und Extra-Lohn eine Gemeinschaft, die bei einem Großauftrag sogar nachts zur Arbeit antrat. Und die sich später zu einer Nachtmusik für ihn versammelte.
In der Schmiede wurde hart gewerkt. Ab sieben Uhr früh, sommers wie winters, loderten die Feuer für das Schärfen von Flugscharen. Hufeisen wurden zum Glühen gebracht, von Schweißstäben stoben die Funken. „Wenn du ohne Schutz hineinschaust, wirst du blind.“ Irgendwann ließ ein Presslufthammer die Werkstatt mit dem Wohnhaus erbeben.
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