Richard Power: „Die Wurzeln des Lebens“
Viel Holz
Dass „Die Wurzeln des Lebens“ der Roman der Stunde ist, beunruhigt
Wann ist der beste Zeitpunkt, um einen Baum zu pflanzen? Vor 20 Jahren, sagt ein chinesisches Sprichwort. Und der zweitbeste? Jetzt. Wann ist der beste Zeitpunkt, um einen Roman über das Verschwinden der Bäume, ihren Kampf – ja, sie kämpfen! – und den Kampf von Menschen gegen dieses Verschwinden zu veröffentlichen? Richard Powers‘ jetzt erscheinender 600-Seiten-Wälzer Die Wurzeln des Lebens war ursprünglich für November angekündigt. Der Fischer-Verlag hat das Publikationsdatum vorverlegt. Klug.
Durch die Ereignisse im Hambacher Wald, die Naturschützer, die sich dort in Baumhäusern verschanzt haben, um die Rodung des nur 200 Hektar großen Terrains zu verhindern, durch die große Anteilnahme der Öffentlichkeit – zuletzt sind etwa 10.000 Menschen in den Rhein-Erft-Kreis gekommen sein, um ihrer Solidarität mit den Waldbewohnern Ausdruck zu verschaffen –, auch durch einen Todesfall – ein Journalist war ums Leben gekommen – gewinnt Powers‘ im Frühjahr im amerikanischen Original erschienenes Buch hierzulande eine ungewöhnliche Aktualität.
Manchmal schafft sie das, dieses träge Medium Literatur, ganz nah am Geschehen zu sein. So im Januar 2015, als bewaffnete Islamisten die Redaktion der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo stürmten und ein Blutbad anrichteten, just an dem Tag, an dem mit Soumission (deutsch: Unterwerfung), Michel Houellebecqs Roman über ein Frankreich unter einer gemäßigt-islamistischen Regierung erschien. Und so gerade wieder, wo auch die Ereignisse von Chemnitz und Köthen den Debütroman Lukas Rietzschels (der Freitag/39) über zwei Brüder, die in der sächsischen Provinz groß werden, in alle Feuilletons brachten. Hinter der Aktualität dieser Romane verblasst die Frage nach ihrer literarischen Qualität zwar merklich. Dass diese Fälle trotzdem gut für die Literatur sind, weil sie hier – Italo Calvino wusste es – unter Beweis stellen kann, dass Schnelligkeit zu ihren Kardinaltugenden gehört, steht außer Frage.
Ein echtes Weltthema lässt sich aber kaum am Innenleben eines sexuell frustrierten Romanisten oder zweier ungleicher Brüder erzählen. Es sind daher neben den Bäumen – 17 verschiedene Arten werden auf den ersten zwei Seiten genannt, da hat die Geschichte noch gar nicht recht angefangen – gleich neun Helden, deren Lebens- und Familiengeschichte Powers erzählt.
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