Die NATO-Norderweiterung (III)
Der Antrag Finnlands und Schwedens auf NATO-Beitritt steht Berichten zufolge kurz zuvor. Russland reagiert auf das neue strategische Ungleichgewicht mit eigener Aufrüstung
Finnland und Schweden werden voraussichtlich Mitte Mai gemeinsam ihren Beitritt zur NATO beantragen. Dies geht aus Berichten hervor, die gestern in beiden Ländern veröffentlicht wurden. Damit geben Helsinki und Stockholm ihre formal noch bestehende Neutralität endgültig auf. Die finnisch-schwedische Annäherung an die NATO inklusive der Beteiligung an NATO-Kriegen hat bereits in den 1990er Jahren begonnen; beide Länder sind schon lange so eng an das Bündnis angebunden, dass Experten vor kurzem urteilten, ihr NATO-Beitritt sei fast nur noch eine „Formalisierungssache“. Diese „Formalisierung“ wird nun vollzogen. Sie schafft neue strategische Ungleichgewichte in Nordosteuropa. Schwedens Insel Gotland, die in Kürze zur NATO gehören wird, kontrolliert die zentralen Seewege etwa nach Sankt Petersburg und Kaliningrad; die rund 1.340 Kilometer lange finnisch-russische Grenze wird zu einer NATO-Außengrenze. Moskau hat angekündigt, mit Aufrüstungsmaßnahmen im Hohen Norden gegenzuhalten und möglicherweise Nuklearwaffen in Kaliningrad zu stationieren.
Die Annäherung Finnlands und Schwedens an die NATO inklusive einer Beteiligung an NATO-Militäreinsätzen – in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, in Afghanistan – hat bereits in den 1990er Jahren begonnen und ist in den 2000er Jahren weitergeführt worden. In den Jahren 2012 (Finnland) bzw. 2013 (Schweden) integrierten beide Staaten ihre Truppen in die NATO Response Force (NRF); auf dem NATO-Gipfel in Newport am 4. September 2014 unterzeichneten sie jeweils ein Host Nation Support-Abkommen mit dem Militärpakt, das es dessen Streitkräften erlaubt, finnisches bzw. schwedisches Territorium für Manöver, aber auch für Truppenbewegungen im Rahmen von Militäreinsätzen zu nutzen. Minister, ja sogar die Staats- bzw. Regierungschefs beider Länder nehmen inzwischen regelmäßig an NATO-Zusammenkünften inklusive Gipfeltreffen teil; auf dem Brüsseler NATO-Gipfel am 14. Juni 2021 wurde die Absicht erneut bekräftigt, künftig noch enger kooperieren zu wollen. Ende 2020 hatte das schwedische Parlament beschlossen, sich die Option des NATO-Beitritts prinzipiell offenzuhalten – eine Entscheidung, die im transatlantischen Pakt als ein richtungsweisendes Signal gewertet wurde, mit Ausstrahlung auch nach Finnland.
Über die aktuellen Beziehungen Finnlands und Schwedens zur NATO hieß es Anfang März in einer Analyse der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), „de facto“ hätten die beiden Staaten „ihre Verteidigungspolitik bereits so weitgehend an die Nato angepasst“, dass ihr „Status ... nicht mehr einer Neutralität im engeren Sinne entspricht“.[1] Sollten sie sich für den Beitritt zu dem Militärpakt entscheiden, sei dieser „fast nur eine Formalisierungssache“. Als ein – wenngleich nicht unüberwindliches – Hindernis galt bislang allerdings, dass in der Bevölkerung eine Mehrheit für eine Bündnismitgliedschaft auch nicht annähernd in Sicht war. Dies hat sich mit Russlands Überfall auf die Ukraine fast blitzartig geändert. In Finnland ergab eine Umfrage bereits am 28. Februar, dass nun 53 Prozent der Bevölkerung sich für einen NATO-Beitritt aussprachen; nur noch 28 Prozent lehnten ihn ab. In Schweden konnten die Befürworter eines Beitritts sich noch im Januar auf lediglich 35 Prozent stützen, während 33 Prozent explizit dagegen waren.[2] Jüngste Umfragen sehen die Beitrittsbefürworter in Schweden nun bei stolzen 58 Prozent, ein Anstieg, der vor allem von Personen getragen wird, die zuvor unentschieden waren. Die NATO-Gegner liegen bei 28 Prozent.
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https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8901
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