Heinz Strunk: „Ein Sommer in Niendorf“
Heinz Strunk hat einen grandiosen, schlimmen Niendorf-Roman geschrieben. Er handelt von einem Abstieg, wie er trostloser kaum vorstellbar scheint – und Abstürzen, die ins Bodenlose gehen.
Ein nicht einfacher, nicht junger Mensch reist im Sommer nach Niendorf im Schleswig-Holsteinischen. Er fährt für drei Monate. Aber er bleibt (wohl) für den Rest seines Lebens dort. So könnte eine auf das Nötigste beschränkte Zusammenfassung eines zeitgenössischen „Zauberbergs“ lauten. Damals, vor nun bald hundert Jahren, las es sich so: „Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.“ Das Ende ist bekannt.
Jeder seriöse Romanschriftsteller wird wissen, dass man keinen zweiten „Zauberberg“ schreiben kann oder, wenn doch, dann nur, indem man sich vor jeder Imitation hütet, es also ganz anders anfasst, natürlich unter Beibehaltung der Grundidee: Ein Mensch reist . . .
Es sei denn, man ist Heinz Strunk. Er wagt es und gewinnt. Um nicht missverstanden zu werden: Mit der Erzählweise Thomas Manns hat er wenig am Hut. Sein Stil ist die Nutzanwendung aus der Tatsache, dass die Zeiten dafür vorbei sind. Das schließt Respekt, Bewunderung nicht aus; von Einflussangst ist er aber frei. Er kann sich seine Abneigung gegen (allzu) realistisches, detailreiches oder einfach -verliebtes Erzählen allerdings leisten, weil er sie im Bewusstsein einer bestimmten Zeitgenossenschaft oder Zeitgemäßheit pflegt und dafür etwas anderes auf Lager hat: eine so, in dieser von Buch zu Buch perfektionierten Ökonomie nur bei ihm zu habende Bestandsaufnahme einer seelischen Disposition, die ganz aufs Elend ausgerichtet ist und davon meistens aufgefressen wird.
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https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/b...t-18102424.html
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