BAHNPOLITIK
»Ab Tutzing alles im Arsch«
Marodes Schienennetz, mangelnde Digitalisierung: In Europa investieren nur drei Staaten weniger in Bahninfrastruktur als BRD
Bei der Deutschen Bahn läuft bekanntlich nicht immer alles, wie es müsste. Aber manchmal muss es einfach laufen. Weil im Mittelhessenexpress Richtung Frankfurt sämtliche Toiletten zugesperrt waren und der Zug kurz vor Gießen das übliche außerplanmäßige Päuschen einlegte, machte sich dieser Tage eine Insassin in die Hose. Was die DB »Komfortstörung« nennt, beschrieb die Frau später im Hessischen Rundfunk als »erniedrigende und schreckliche Erfahrung«. Dabei war dies ein vergleichsweise nichtiges Malheur. Am Dienstag abend berichtete »Report Mainz« über einen Brandbrief von Eisenbahnern, in dem der Konzernvorstand schon 2019 vor erheblichen Sicherheitsrisiken im Bahnverkehr gewarnt wurde. Außerdem zitierte das ARD-Magazin aus einem Whats-App-Chat von Lokführern kurz nach dem schweren Bahnunglück von Garmisch-Partenkirchen, bei dem Anfang Juni fünf Menschen verstarben. Einer äußerte: »Ab Tutzing ist alles im Arsch. Also quasi wirklich richtig im Arsch.«
Dass bei der Bahn vieles im Argen liegt, will inzwischen auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) erkannt haben, weshalb er die »Generalsanierung« zur »Chefsache« erklärt hat. Darauf sollte man nichts geben. Der zuletzt vom Kabinett beschlossene Bundeshaushaltsplan für 2023 stehe »für ein ›Weiter so‹ in der Verkehrspolitik«, moniert der Verband Allianz pro Schiene. Der Ansatz reiche »nicht einmal, um die Baupreissteigerungen bei der Schieneninfrastruktur aufzufangen«, geschweige denn dafür, die angekündigte Verkehrswende in Angriff zu nehmen. Ihre Prioritäten setzt die Ampel wie gehabt: Für den Neu- und Ausbau von Bundesfernstraßen werden im nächsten Jahr mit 3,86 Milliarden Euro fast doppelt so viele Mittel mobilisiert wie für die Kapazitätserweiterung des Streckennetzes, wofür es zwei Milliarden Euro geben soll.
Auch im internationalen Vergleich ist die deutsche Bahnpolitik ein Trauerspiel. Nach den Ergebnissen einer am Donnerstag von Allianz pro Schiene und der Unternehmensberatung SCI Verkehr präsentierten Analyse belegt die BRD bei den Pro-Kopf-Investitionen in die Schieneninfrastruktur unter zwölf europäischen Staaten nur Rang neun. Während Luxemburg im Vorjahr pro Einwohner 607 Euro aufbrachte und die Schweiz mit ihrem ohnehin famosen Bahnsystem 413 Euro, waren es hierzulande 124 Euro. Zwar sei damit »so viel wie noch nie« in die Bahn gesteckt worden, bemerkte Bündnisgeschäftsführer Dirk Flege vor Pressevertretern in Berlin. Deutliche Steigerungen hätten aber auch die anderen Länder aufzuweisen, womit Deutschland in Europa »immer noch ein Kellerkind« bleibe.
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