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RE: Im 'Blöden Egon'

#1 von Karl Ludwig , 25.01.2016 06:45

Für Männer gibt es immer überzeugende Gründe, an einem Symposium teilzunehmen. Entweder war da mal eine Frau, oder da ist eine Frau, oder da wird eine Frau gesucht.

Dieser hier säuft gerade, weil da bis gestern eine Frau war, die heute... Ach, lassen wir die näheren Einzelheiten. Männer sublimieren durch Intellekt, Öchslegrad und Abstraktionsfähigkeit...

Whiskey weckt wunderbares Wehleid: „Weissuwas? DassSein is grässässlich. Schluck.“ Tränenverdünnter Whiskey!

Ein Freund findet tröstende Worte: „Nenee. Das Sein als Solches ist das Da-Sein, Gegeben-Sein, In-der-Welt-Sein, boa, Hussy, schnell ein Bier, sonst komme ich nicht mehr mit mir mit...“

„Dassisssowat wö-wöllig Allemeines, hick, Gluck.“

„Allgemein Gemeines alles deines?“

„Allemein G’meines allesmeines, a...nschatt Seines! Dieser Arsch schteckt seinen da rein, wo meiner hinnehört und ich darf ihn noch nicht mal verhauen. Seines Zeichen nach ist er Karatelehrer und hat 'nen schwarzen Gürtel in Hau.“

„Seines. Sein und Es. Jau! Ganz genau! Und das Schönste ist: Die Begriffe „Seiendes“ und „Sein“ stehen in einem Spannungsverhältnis, da jedem Seienden in irgendeiner Weise ein Sein zukommt. Seiendes ist im Werden vergänglich. Das geht schon aus dem Wort hervor. „Sei-“ und „-Ende“. Ich glaub, ich muss schneller Trinken. Aber du weißt schon, was ich meine...“

„Dassis Onnotolochie. Mir iss nach Tauben vergiften, nach Ma-maßssenmortt!“

„Nee, Ornotologie, äh, nee, habs! Ontologie. Aber egal, viel wichtiger ist doch, dass der Begriff des Seins den weitesten möglichen Bedeutungsumfang überhaupt hat, weil er sich auf alles, was denkbar ist, beziehen kann. Nur, warum ist das Glas ausgerechnet jetzt leer? Hussy, nimm weg und tu was rein. Das sieht ja schlimm aus.“

„Jep. Gansgenau. Alles, Gluck, wat d-denkbar is. Darfes mir überhaup gar nich vorschtellen. Dasß m-meint al-lal-les, wat nich „nich is“. Ihr is Sein und mir iss Nix. Abba für Sein und Nix gilt...“

„...der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Wo bleibt Bier! Erst durch den Begriff des Seins, mein Gott, was für ein hübscher Arsch, wird die Vorstellung von Negation und Differenz, Danke, Prost, möglich. Differenz ist der Übergang vom Sein zum, Gluck-gluck, Seienden. Das Sein und das Seiende...“

„.. stähn im dilekkischen Wer-, öh, -häldnis sßunanda, im Gegensass zu... wo Arsch? Außem Da-Ssein, der, These, hick...“

„...dem Nix, der Antithese ergibt sich durch die Unterscheidbarkeit das Seiende die Synthese. In der Mitte von der neuen Bedienung. Der Unterschied von Sein und Existenz...“

„...bescheht in...? Der annere war chööner...“

„..., dass man mit Existenz ein Sein in der Realität mit einer örtlichen und zeitlichen Bestimmung meint. Kann ich nicht beurteilen. Aber der hier bekommt 12 von 10 Punkten.“

„Wöllig glar. Nochn Bier?“

„Auch klar.“

Hussy, der Wirt, mischt sich ein: „Auch das Sein oder Nichtsein ist kein bedeutungshaltiges Zeichen der Sache von der es gesagt wird, auch dann nicht, wenn man das „seiend“ an sich selbst sagen würde, denn es selbst ist gar nichts, sondern bezeichnet eine gewisse Verbindung zu etwas hinzu, welche ohne das Verbundene nicht zu denken ist. Ihr Blödmänner haben schon wieder nicht zu Ende gedacht. Trinkt schneller!“

Die neue Bedienung, ein ungewöhnlich blondes Mädchen mit ausgeprägten Beulen, kommt erneut vorbei und verdirbt diese optische Bereicherung indem es spricht: „Im umgangssprachlichen Deutsch und in den indogermanischen Sprachen überhaupt wird „sein“ als sprachliche Verknüpfung, als Kopula, zur Verbindung von Subjekt und Prädikat in Sätzen grammatisch oder in Aussagen der Logik verwendet. Würdet ihr bitte aufhören, mir so auf den Arsch zu gibbern? Ja, du auch, Hussy. Ob diese grammatische Funktion als bloße Kopula einer semantischen Bedeutungslosigkeit des Wortes „Sein“ entspricht, wird seit Jahrtausenden kontrovers diskutiert. Und nun könnt ihr mich mit den Augen wieder anziehen.“

Ein Kunde, der bislang völlig ruhig in der Ecke saß springt plötzlich auf und brüllt: „Über die kategoriale Strukturierung hinaus ist das Seiende real existierend, manifestativ existent.“ Leichte spastische Zuckungen lassen den anderen Gästen die Möglichkeit, erstaunt die Augenbrauen hoch zu ziehen. In den Mundwinkeln des Kunden zeigt sich Schaum: „Als Wirklichkeit und Möglichkeit und als Wahres und Falsches.“ Der Kunde greift nach einer Bierflasche und versucht sie an der Tresenkante zu zerschlagen. Es misslingt enorm: „Das Sein ist kein Gattungsbegriff, weil es nicht eindeutig, sondern mehrdeutig von den Dingen ausgesagt wird...“ Hussy, zieht einen Schläger unter dem Tresen hervor und haut damit auf das Barbrett. „Schluss damit! Oder es knallt. Alles was über Seiendes ausgesagt wird, hat in sich das Sein als solches, welches wieder die Einheit stiftet!“

Der Gast stellt die heile Flasche vorsichtig zurück und beruhigt sich: "Ach so, dann ist das Sein selbst die Voraussetzung für die Unterscheidung von Seiendem? Dann ist ja alles gut. Und ich dachte schon, ihr meintet, das Sein sei Selbstzweck, ein Ist-Sein, denn auch das Nicht-Ist ist!"

Ein Typ, der selbst im Kongo jeden Silberrücken beeindruckt hätte, entfaltet sich und bewegt ein völlig vernarbtes Kinn in einer unangenehm hässlich zerschlagenen Visage. Das eintätowiertes Logo auf nackter Brust unter offener Lederweste weist ihn als „Rooker“ aus: „Das genügt mir aber nicht. Ich würde einen Arm dafür geben, wenn die Verwendung des „ist“ zur Kennzeichnung von Existenz sich nicht nur auf die Existenz von Gegenständen, aber auch von Sachverhalten beziehen würde, z. B.: Es ist der Fall eingetreten, dass jemand hier gleich eine Delle braucht. Nun, vielleicht nicht meinen eigenen Arm, aber sicherlich...“

Ein gefährlich aussehender, schwarz gekleideter, einsamer Trinker, um den sich unerklärlicher Weise ein Freiraum von 3 Metern gebildet hatte, obwohl die Kneipe ansonsten recht voll ist, dreht sich langsam um und zwei hellblau blitzende Augen sehen den „Rooker“ aus einem Kaputzenpulli heraus gnadenlos an: „Meinst du etwa mich? Schon mal was von Existenzpräsupposition gehört? Die anderen Verwendungen von „ist“, also Identität, Prädikation oder Klassifizierung kennzeichnen Relationen oder Eigenschaften, wobei sie jeweils die Existenz des Subjektes implizit unterstellen. Willst du etwa noch eine Mordsbeule?“

Der erste, locker geschmissene Bierkrug verfehlt Hussy nur knapp. Er seufzt auf und ruft den philosophischen Notdienst an: „Schnell, und bringen sie die Kategorienliste mit.“ Dann schaltet er das Licht aus und legt Chopin auf.

Man hört eine Kakophonie von gebrüllten Schlachtrufen aus der Dunkelheit, nur unterbrochen vom lauten Wehklagen der rhetorisch Unterlegenen und näherkommenden Sirenen: „Substanz! Autsch! Relation! Lalülala! Ort! Na warte! Zeit! Nimm dies! Lage!!! Lalülala! Haben! Nimm das! Tun! Lalülala! Quantität! Hilfe! Und Qualität. Klirr.“

Ab hier muss der Leser seine eigene Fantasie bemühen. Schließlich ist es dunkel und es gibt nicht ausreichend viele onomatopoetische Worte um das Tohuwbohu lautmalerisch korrekt zu beschreiben, welches die Kontroverse über Unbegrifflichkeit von Nicht-Ist im Gegensatz zur Fassbarkeit des Seins, natürlich rein theoretisch und stets im Kontext, an diesem Abend in der ansonsten recht gemütlichen Kneipe verursacht. Denn das Nichtseiende kann man weder erkennen (denn das ist unmöglich) noch aussprechen.

Der Notdienst stürmt den Schauplatz und zückt zwei Bücherstapel. Damit wird der Streit schnell geschlichtet, Platon sei Dank: Das Nichtseiende ist nicht Nichts, sondern Verschiedenheit. Wenn man zum Beispiel sagt, dass friedlich- gemeinsames Trinken nicht Massenschlägerei ist, dann heißt das doch nicht, dass friedlich- gemeinsames Trinken nichts ist. Es ist nämlich doch wegen seinem Anteil am Seienden.

Nach nur ca. 10 Min. waren alle wieder ein Herz und eine Seele. Man fasste sich an die Hände und sang gemeinsam:

Hume und Kant,
die sind bekannt.
Was immer wir uns noch
vorstellen, stellen wir doch
als existierend vor. Sein ist offenbar
kein reales Prädikat, wie wahr,
es ist ein Begriff von irgend was,
das zu dem Begriff eines Dinges hinzu kommt, und das
ist bloß die Position eines Dinges
wovon ich hier singe,
oder gewisser Berufungen
wovon die Alten sungen
an sich selbst. Zum Ruhme
von Kant und von Hume.
Aber die Frage lautet erneuert
Ist das nicht herrlich bescheuert?

Ich war seit über 10 Jahren mehr in der Pinte und gebe deswegen die damals üblichen Kneipengespräche aus der Erinnerung wieder.


Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!

Karl Ludwig  
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RE: Im 'Blöden Egon'

#2 von Jonny , 20.03.2016 10:37

Herrlich klsa.
Das könnte auch der Elbschlosskeller auf der Reeperbahn sein, oder der goldenen Handschuh,
gleich gegenüber. Beides Höhlen der Löwen... Da kann man nur mit 0.8 auf dem Turm rein,
sonst wird man schief angeschaut. Und die Jungs können schief schauen.
Hier ist dir wieder ein einfallsreiches Werk gelungen!

Hab einen schönen Sonntag
Jonny

 
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RE: Im 'Blöden Egon'

#3 von Sirius , 20.03.2016 19:57

Du kennst Kneipen, klsa! Intellektuelle Wirte, die nicht nur ins Bierglas schnäuzen und eine intelligente Bedienung, da möchte ich auch SEIN. Selbst die Gäste, die vornehm „Kunden“ heißen, werden mit zunehmenden Alkoholkonsum immer intellenter und heulen nicht über ihre äh.. Bekannte, sondern bekommen philosophisches Profil. Selbst eine Prügelei findet auf hohem Niveau statt und anschließend singt man gemeinsam mit dem Notarzt rustikale Volkslieder.
Und da warst du seit zehn Jahren nicht mehr? Mussu wieder hin und uns berichten.
Hat nämlich riesigen Spaß gemacht, das alles zu lesen!

Sirius


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