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RE: China

#1 von Karl Ludwig , 07.09.2017 13:19

Seit meiner Kindheit sind Indien und China für mich Verheissungen gewesen. Das Fremdländische an der Türkei war gelutscht und nicht mehr sehr aufregend. In wohlbehüteten Verhältnissen aufwachsend träumte ich von spannenderen Abenteuern in geheimnisvolleren fernen Ländern. Komisch, Afrika reizte mich überhaupt nicht. Amerika genau so wenig - trotz Karl May.

Die fernasiatischen Kulturen mit ihren langen Vergangenheiten waren interessantere Gegenmodelle zu meinem Alltag (der, ehrlich gesagt, beneidenswerte Extras in sich trug: Natur, Meer, Musik, und den liebevollen Kokon meiner Sippe). Doch der unausgefüllte Explorationstrieb wurde immer nervöser. Da wollte ich hin. Unterm Banjabaum sitzen, meditieren, Gitarre spielen, im Dschungel lustwandeln, Gaukler sehen, die tanzenden Kobras Flötentöne beibringen ...

Ich las einmal ein Kinderbuch über einen Jungen, der als Double für den englischen Prinzen einsprang und statt diesem nach China ging. Ach, diese Kulihüte. Natürlich auch Marco Polo. Und 'Im verbotenen Tibet' von Namen vergessen.

Shanghai war mir ein Name mit eingebauter Magie. Eine kleine, stille Sehnsucht sollte mich die Jahre über begleiten. Meinen ersten Versuch in China einzudringen wagte ich 1974 von Indien aus, was aber an den politischen Rahmenbedingungen damals scheiterte.

Indien war auch erledigt. Haken dran. Ich war dermaßen dauerbreit, dass ich kaum etwas mitbekam.

Aber China! Ähnlich wie in Griechenland und der Türkei, wo recht drakonische Strafen auf den kiffenden Freak lauerten, würde ich dort auf jeglichen Konsum verfemter Drogen verzichten müssen. Immerhin gab es in diesen Ländern recht laxe Apothekengesetze, soll heißen, überall konnte man kodeinhaltige Hustensäfte bekommen. Nach einem Jahr Schmollen in der Türkei und einem Jahr Saufen im blöden Egon war es 2003 endlich soweit.

Ich bekam einen Job als 'Project Manager' so stand es nämlich auf meiner Visitenkarte. Schon im Flugzeug gab es Probleme. Die Stewardess nahm mir meine Zigaretten weg, weil es auf dem Klo nach Rauch roch. Den Rest der Zeit überlegte ich mir eine Methode, im Fieger zu rauchen, ohne dass es Ärger gibt. Eine Art Rauchhaube mit Filter und Depot für Restqualm. Als ich in Shanghai landete, war ich theoretisch Multimillionär.

Auf der Baustelle gab es noch mehr Probleme. Die Arbeiter, vornehmlich wandernde, pissten, und, ja, kackten im Rohbau in die Ecken, bis jemand auf die Idee kam, vermutlich ich, die Toilettenanschlüsse im Ablaufplan vorzuziehen und wenigstens provisorisch zu nutzen. Was auch nicht viel hygienischer im Endeffekt aussah. Drei Container Material waren eingemauert, ein sehr effektiver Diebstahlschutz. SARS, die Hühnerpest war gerade unterwegs, aber es wurde dennoch traditionell ständig auf den Boden gerotzt, denn Papiertaschentücher kosten ja und waren deswegen unhygienisch.

In Deutschland benötigten wir für vergleichbare Prohekte incl. Produktin und Montage mit ordentlicher AV und 20 Leuten, maxinal acht Wochen. Der Bauherr verlangte ständig nach 'Time-Schedull', also einen Zeitplan, der musste nach mehrmaliger Korrektur auf acht Monate gestreckt werden. Mal wurde ein Schwimmbecken angebohrt und der Bau geflutet, dann wieder kein Meterstrich gezogen, also hatte der Gastraum etliche topographisch interessante Stellen, wobei die Diskussion über eine notwendige Nachbesserung der Unterkonstruktion mehr Zeit in Anspruch nahm, als eine Neuverlegung, die erst passierte, als ich mit einer Axt lostobte. 'Dis is not a tschainees nudelschopp, dis is a dschörmen exterritorium, ju anderstänt?'

Als der Gastraum sich halbwegs gerade anmutete, ließ ich ihn mit uralten Fabrikböden aus Pitch-Pine belegen. Leider hielten die keinen Gabelstabler aus, der eine antike Brauanlage als Dekoration auf die Empore schaffte. (Das war aber ausnahmsweise mal mein Fehler) Dann rückte ein deutscher Kühl und Tresentechniker an und brauchte nur eine Woche. Die Lüftung wurde von Eingeborenen eingebaut, das dauerte Monate und war Murks, der den Gästen an den Premiumtischen kalte Luft in den Nacken blies. (Jahre später las ich über diese Gasthausbrauerei, dass es einen Toten gegeben hat, weil irgendwelche Kohlenmono ... xyde? ... Na, Ihr wisst ja, was ich meine, dort in die Zuluft geraten war)

Zwischenzeitlich gab es ein Frühlingsfest über gefühlte sechs Wochen Feuerwerk rund um die Uhr. Die Arbeiter waren weg und niemand hatte mich vorher darüber aufgeklärt, dass China nun einen Monat lang nicht mehr normal funktionieren wird. Ich bekam vom Bauherren einen Geschenkkorb mit chinesischen Spezialitäten: Kandierter Pandapenis und Enteneier, wobei der Pandapenis voll gelogen ist. Aber Hühnerfüsse in Aspik! Und die Enteneier waren gar kein Jahr lang vergraben gewesen. Ich verschenkte meinen Geschenkkorb an den Hausmeister.

Ich gebe es zu. Ich sah von China nicht viel. Ich lebte als priviligierter, leicht vermögender Ausländer und habe noch nicht einmal die Mauer gesehen. Auch besuchte ich keine chinesische Oper, sondern saß in Shanghai bloß im Starbuck, völlig geschafft vom Bestellen von geschätzten zwei Tonnen Elektrokrempel im 'House and Garden' (Eine Dauermesse direkt beim Olympiafeld). Ich fuhr auch nicht mit der Magnetschwebebahn. Und ich ließ nur ein einziges Mal ein junges Mädchen in mein Zimmer, welches gegen Mitternacht zaghaft klopfte, und ja, es war wirklich nett, - die Magie einer nackten Mädchenfigur wirkt doch immer! Ich kam mir dennoch ziemlich imperialistisch dabei vor.

Der Bauherr schmückte sich gerne mit Ausländern und deswegen kam ich mehrmals in den Genuss von gemeinsamen Spachteln mit VW-Managern rechts und mir links, oder auch mal gegenüber an der runden 20 Personentafel. Dann gab es Gelbmeerlanguste oder was weiß ich denn, blanchiert auf Eis, die ihre Fühler bewegte. Sehr gewöhnungsbedürftig.

Ich blieb noch im Land, bis zum ersten Anstich. Das Abschiedsessen schlug ich aus - die letzte Rate des Kaufes war schließlich in Deutschland angekommen.

Träume sterben bei Erfüllung. Um diesen war es nicht besonders schade. Da gib es schlimmere Beispiele: Goa, 20 Jahre später z.B. Die ganze Flower-Power Bewegung und ihr AllesLiebeAnspruch. Die Frau meines Lebens verteilte sich auch lieber auf mehrere Damen, sehr schlau! Berühmter Musiker? Ach, geh. Schriftsteller? Nein Danke.

China? Eine einzige Enttäuschung, die ich aber nicht missen möchte.


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RE: China

#2 von Sirius , 07.09.2017 21:26

Zumindestens für uns als Leser sind deine Berichte keine Enttäuschung. Vielleicht ist es für dich auch eine emotionale Aufarbeitung, du erlebst es beim Schreiben noch einmal - und wir schauen dir zu.
Es ist immer spannend und interessant - und meist auch vergnüglich. Danke dafür.

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RE: China

#3 von Karl Ludwig , 08.09.2017 07:14

Hm. Emotionale Aufarbeitung? So habe ich das noch nicht gesehen. Ich schreibe halt, weil ich nicht den ganzen lieben langen Tag lang nur Saufen kann - und seitdem ich nicht mehr saufe, habe ich noch mehr Zeit, irgend etwas Banales hinzuschreiben, statt zu saufen.

Letztendlich versuche ich wohl das große Geheimnis innerhalb eines Rätsels, gesäumt von Fragen meiner Selbst zu lüften, klar, völlig vermessen und noch nicht einmal mit viel Leidenschaft (ich weiß doch, dass hinter jeder gelösten Frage nur hydrakesk jede Menge andere lauern).

Z.B.: Ich habe mir eine neue Ärztin zugelegt. Sanfte Methoden und so. Die erzählte mir vorhersehbar Einen darüber, dass man sich den Problemen stellen soll um sie zu lösen, dafür wären sie da. Ein klassisch blöder Spruch, der keinen Junkie, selbst wenn dieser ein Ex-Junkie sein sollte, in Bewegung versetzt. Ich nehme an, dass an dieser Stelle immer einsichtig genickt wird, wenn sich ein H&H (Helfer und Heiler) in der Gewäschtherapie demgemäß äußern. Egal, aber etwas ungläubig blickte sie mich dennoch an, als ich meinte: "Ich habe gar keine Probleme, außer dass mir die Zumutung und Demütigungen des Alterns unangenehm aufstoßen."

Und das stimmt auch, ich bin mit mir im Reinen, glaube ich, ... nach all den Jahren voller Dummheiten fallen mir diese inzwischen ziemlich schwer, also benehme ich mich fast vernünftig.

Nein, ich glaube zu SEIN, was ich BIN, nämlich das, was mir passiert, selbst wenn selbst geklöppelt. (An dieser Stelle könnte eine Diskussion über den 'Freien Willen' entstehen, aber: Gähn!) Und außerdem bin ich noch mit einigen Extras ausgestattet, wie Seele, Denkvermögen und all so Sachen.

Zusätzlich bin ich heilfroh, diese Welt besucht zu haben, solange sie noch steht. Meine Generation hat viel Glück gehabt, ungeahnte Möglichkeiten, keine Kriege. Das kommt so schnell nicht wieder. Dafür bin ich sogar kleinlaut dankbar.

Meine, mehr von romantischen Motiven geleiteten Abenteuer, fallen in die Kategorie 'Stolpern&Kreiseln'. Wie benahm ich mich in kritischen Situationen? Zu meiner Schande muss ich zugeben: Oft völlig übertrieben und wenig mannhaft - nun, ich brauchte halt viele Jahre, bis ich kapierte, dass die Welt nicht nach den selben Regeln funktioniert wie ein Elternhaus voller Liebe. Wer klagt hat schon verloren! Aber 'verlieren' wollte ich eigentlich nie:

Und irgendwann auf'm Diskothekenklo
oder auf dem Spielplatz, oder sonst irgendwo
findet man dann Deine ziemlich bleiche
IchMachMichKaputtMuttiTypenLeiche
und so ein dummer Spruch auf Deinem Grabstein
wird die einzige Erinnerung an Dein verpfuschtes Leben sein.

(Mit 19! Ich hatte den Drachen schnell erkannt, brauchte aber Jahre, um ihn wieder zurückzutreiben. Das gelang auch erst halbwegs durch Vergreisung nachdem er sich ausgetobt hatte.)

Und wie Sirius schon andeutete: Mein Schutzengel muss wohl Überstunden geschoben haben. Aber daraus den Schluss zu ziehen, ich sei für etwas Beeindruckendes aufbewahrt worden, halte ich für Unsinn, selbst wenn ich das insgeheim immer geglaubt hatte.

Vielleicht hat das DOCH etwas mit 'emotionaler Aufarbeitung' zu tun. Aber demnächst wieder etwas leichtere Kost aus Karlau. Genug der Nabelshow! Als Dauerthema bin ich mir auch nicht NUR äußerst interessant. Über die Anderen sich nicht totzulachen DAS ist Kunst.

Ja, wo laufen sie denn? (Loriot)


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RE: China

#4 von Sirius , 08.09.2017 20:18

Na, das liebe ich ja, wenn mich User zum Googeln schicken, und Google mir dann auf hydrakesk mit einer dämlichen Antwort abspeisen will, nebst dem Hinweis, dass mich einer ganz hydrakesk verschaukeln will.

https://www.google.de/search?q=+hydrakes...WNYPZ8Afkl6KgCw


Außerdem ist mein Staubsauger defekt. Ich hab zwar schon einen neuen, aber der steht noch beim Mediamarkt im Regal.
Wo war ich?
Ach ja, Karl Ludwig. Du antwortest immer so ausführlich (flöt, flöt), dass ich immer nicht weiß: Ist das jetzt ein Kommentar oder die Fortsetzung?
Du hast dich also zu deiner Ärztin gelegt und probierst mal die sanfte Methode. Hoffentlich stößt (haha) sie sich nicht an den Grunzlauten..
Und ich bin dir dankbar, dass die Diskussion über den – vermeintlich – freien Willen entfällt!
So viel Zeit zum Klöppeln habe ich nicht.
Das Gedicht vom Diskothekenklo ist auch sehr schön und irgendwie..äh..anders.
Und nun freue ich mich wieder auf die satirischen Entgleisungen deinerseits mit den vielen Krakauern, die ich so gerne lese.
Und noch einen schönen Abend in der Sprechstunde, du hast mich wieder erheitert!

Sirius


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