Ihr alle habt die Geschichte 'Im blöden Egon' gelesen? Wie sich in meiner Stammkneipe die Säufer in Philosophie versuchen? Habt Ihr doch, oder?
Nun ist es überhaupt nicht so, dass ich eitel bin. Ich brauche keinen Beifall, und also druckte ich die Geschichte aus und legte sie unauffällig zwischen die Provinzblättchen und Dorfnachrichten, mit denen sich die Säufer Zeit totschlagend beschäftigen, während sie auf ihr Bier warten.
Dann setze ich mich diskret in die Nähe und es dauert auch höchstens drei Halbe lang, bis jemand gelangweilt durch den Stapel stöbert und meine Geschichte findet. Ich registriere es zufällig aus den Augenwinkeln. Und was macht dieser Kretin? Er wirft noch nicht einmal einen Blick auf den Text, schnappt sich das Bier, bestellt ein Katerfrühstück und zieht sich mit einem alten Mickymaus-Heft auf seinen Stammplatz zurück. Na-ja, der Typ hat sich halt doof gesoffen.
Ich ordne den Print-Medien-Stapel neu, - zufälliger Weise kommt die Geschichte, – dezent auf Neonpapier gedruckt, ganz nach oben zu liegen.
Der nächste Ignorant erscheint, ignoriert nachhaltig und nicht wiederverwertbar, fummelt hysterisch an seinem viereckigen Ding herum, vermutlich um sich mit seiner ebenso bescheuerten Schickse über Belanglosigkeiten zu handylieren, während nebenan zukünftiges Kulturerbe vergammelt.
Und da, schon wieder so ein Legastheniker. Der bestellt ein Bier und lässt sich einen Zwanni wechseln um zu flippern.
Ich schiebe den Packen Zeitungen unter meine abgelegte Jacke. Dann gucke ich so unschuldig, dass niemand sein Fehlen mit mir in Verbindung bringen könnte. Manchmal muss man die Leute halt zu ihrem Glück zwingen und mit Niveau konfrontieren. Nun liegt, irgendwie anklagend verloren, meine Geschichte, taktvoll und diskret wie ein Artikel in einer Frauenzeitschrift über eine Prominentenscheidung, als einziger Lesestoff aus. Irgendwer wird doch über das Stadium des Nur-Comic-Lesens hinausgewachsen sein. Immerhin geht es um nichts weniger als die Rettung der Welt.
Ein Pärchen kommt herein. Riecht nach Erde, Moschus und schnabuliert sich gegenseitig voll unhygienisch voll. Setzt sich und bestellt Sekt. Gut dass ich die Kunst des Nichtdenkens sogar mit geschlossenen Augen beherrsche. Die beiden, normaler Weise Feingeschlechter, gucken sich enthusiastisch in die Augen. Bah! Gucken nicht mal weg, als der Wirt eine Flasche Rotkäppchen hervorkramt und sogar eine Kerze anzündet. Die Zwei hätten sich gestern verlobt. Für sie war es das zehnte, für ihn das erste Mal, hö-hö, meinte er im Vorbeigehen.
Und nun trinken sie sogar mit in einander verknoteten Armen. Mein Elaboratenersteller droht zu kollabieren. Wie kann man nur so blind sein. Ich meine, der Typ hat doch nichts, höchstens genug Geld um sich Babyblubberwasser anstatt einem ehrlichen Bier zu leisten. Und der Mercedesschlüssel am Bund neben dem Aschenbecher imponiert mir auch kein bisschen. Was für innere Werte kann der schon aufweisen? Und sie muss ja auch etwas krank im Kopf sein, wenn sie sich statt meinereiner, so einen Banausen aussucht. Vermutlich eine Blondine. Kann kaum lesen ohne die Lippen zu bewegen, wetten?
Na gut. In meinem Reich darf jeder nach eigener Façon vor die Hunde gehen. Aber was ist das? Der Typ verschwindet mit den Worten, er käme in einer Viertelstunde zurück, er müsse eine Zeitung kaufen und etwas aus der Apotheke besorgen, dabei zwinkert dieser Schwachsinnige ziemlich obszön mit den Ohren.
Die blöde Tante nimmt einen tiefen Schluck und blickt sich suchend um. Nun greift sie nach meinem Ausdruck in Grell, überfliegt den Anfang und legt ihn zur Seite. Sagte, äh, schrieb ich doch, eine dumme, bescheuerte, hässliche, humorlose Kuh.
Sie nimmt einen Schluck und beginnt sorgfältiger zu lesen. War da nicht ein Verziehen des Mundes? In den Winkeln? Nach oben? Mein Gott, was sieht die Kleine doch niedlich aus. Bestimmt eine Akademikerin kurz vor dem Diplom.
Nun runzelt sie die Stirn. Unwillig? Na-ja, vielleicht habe ich mich ein wenig hinreißen lassen. Sooo toll sieht die ja nun auch nicht aus.
Oh, sie hat tatsächlich geschmunzelt. Vielleicht hat sie auch schon den Doktor, möglichst in Literaturwissenschaften?
WAS!?! Diese optische Umweltemission hat garantiert keinen Kindergartenabschluss. Sie legt mein nobelpreisverdächtige Gedankenkonzentrat zur Seite. Mögest Du an Spastik zu Grunde gehen, du …
Sie trinkt schon wieder einen Schluck, Alkoholikerin im Endstadium, die sie ist. Bestimmt …
Nun steht sie auf. Jah! Hau ab und mach Platz für Kulturgenießer. Oh, sie, … sie fragt den Tresenbeauftragten, ob sie diese tolle Geschichte mitnehmen dürfe und von welchem Schriftstellergenie denn der Text stamme.
Eventuell gar Professorin? Nein, dafür ist sie viel zu schön. Ein Engel und dann auch noch mit Geschmack und Kultur.
Ich gebe mich zu erkennen und als der Typ zurückkehrt löst sie die Verlobung auf, ohne ihm Kranzgeld zu gönnen. Zu Recht, wie ich finde. Wir Künstler haben willige Inspiration auf Beinen auch viel nötiger als alle Anderen. Liest man doch deutlich heraus.
Zehn Weise können nicht einen Idioten ersetzen!
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Das Frauen Charakter haben, lieber Karl-Ludwig, nett sind und sogar gut aussehen,
offenbart sich manchmal auf seltsame Weise.
Aber das fällt nur Kennern ins Auge - manchmal sogar in die Arme...
Wieder sehr gern gelesen!
Jonny
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Ich gönne Dir den Engel mit Geschmack und Kultur. Denn wer solch feine Teilchen zu Papier bringen kann, der hat nix anderes verdient. Sehr gern gelesen.
Babsi
Was kostet die Welt - Ich nehm zwei.
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