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Leona Stahlmann: Diese ganzen belanglosen Wunder

#1 von Sirius , 08.02.2023 16:45

Leona Stahlmann: Diese ganzen belanglosen Wunder

Leona Stahlmann hat kürzlich beim Wett-Lesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis Teile aus ihrem neuen Roman vorgelesen, der jetzt erschienen ist. Er spielt in der Zukunft und es geht darin heiß zu.

47 Grad messen die Meteorologen, als Leda im neunten Monat schwanger ist. Mit dem Vater des Kindes war sie nur eine Nacht zusammen, sie hat sich nie wieder bei ihm gemeldet. Aber sie hat einen Ort für sich und das Kind gefunden: ein verlassenes Haus an einer Flussbiegung in der Marsch, für das niemand Miete verlangt. Weit und breit kein Nachbar. Wind und Wetter dominieren.
Mittlerweile ist das Kind zwölf Jahre alt: Zeno. Sein Schulweg ist so lang wie der Weg zum Einkaufen. Und vieles hat er sich selbst beigebracht.
Er kann mit nassem Schwemmholz den Ofen anzünden, er kann dünnwandige Organe aus den Bäuchen der Bitterlinge schlitzen…, Anwendungen auf sein Gerät herunterladen, schwarz fahren.

Auf seine Mutter ist kein Verlass. Mal ist sie zugewandt und zeigt Zeno voller Begeisterung Kunstbände mit flämischer Malerei, dann taucht sie ab und kommt tagelang nicht aus ihrem Schlafzimmer. Sie merkt nicht, dass er abends in die Vorortsiedlung verschwindet und heimlich Menschen in ihren Single-Quartieren beobachtet.
Die Bungalowbewohner wischen mit den Daumen von links nach rechts oder von rechts nach links…dazu gibt es ein Glas Wein, ein Bier, einen Snack aus einer Schale auf der Lehne des Polstermöbels, meistens mit der Hand herausgefischt, die nicht auf dem Gerät wischt.
Zeno hackt sich in ihre Dating-Apps. Was anfangs ein aufregendes Spiel ist, entwickelt sich zur Überlebensstrategie. Seine Mutter ist verschwunden, seit Wochen. Zeno versorgt weiterhin die Hühner und verkauft abgepacktes Salz an Ausflügler als sei es frisch aus der Saline geschöpft. Trotz Hitze und Hunger nimmt er sein Leben in die Hand. Er sucht jetzt selbst Kontakt im Dating-Portal.
Leona Stahlmann muss die Marsch eingehend studiert haben. Wir sehen Wolken, die sich wie Quallenschirme aufblähen, wir hören das Geräusch der fallenden Walnüsse wie Applaus, und wir riechen den beißenden Gestank von Vogelkot.

Weiterlesen:

https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Die...ahlmann122.html


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