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Robert Wolfgang Segel: Ein Schaben

#1 von Sirius , 06.06.2023 16:37

Robert Wolfgang Segel: Ein Schaben

Robert Wolfgang Segel erzählt in seinem Roman-Debüt von einem, dem der Bruder verloren ging.

"Diese Monster" nennt sie die Mutter. Nachvollziehen kann sie es nicht, warum ihre zwei Buben immer ausgerechnet vor diesem Terrarium sitzen wollen - im Naturkundehaus im Tierpark Nürnberg. Ein Weihnachtsgeschenk waren sie, die Eintrittskarten, später gar Jahreskarten. Selbst an den Sprung der gebrochenen Fliese auf dem Boden vor der Scheibe erinnert sich Tommi. Dahinter die schiere Faszination: Panzer, zuckende Fühler. "Und sie sind unverwüstlich, leben selbst ohne Kopf noch einige Tage weiter, verdursten nur, weil ihnen die Mundwerkzeuge zum Trinken fehlen" - Fauchschaben aus Madagaskar.
"Ein Schaben" hat Robert Wolfgang Segel sein Romandebüt genannt, erschienen beim kleinen unabhängigen Münchner Schillo Verlag. Bis jetzt hat der 1984 in Fürth geborene Segel einen Erzählband veröffentlicht; im Nürnberger Tierpark hat er selber mal gearbeitet und als Realschullehrer unterrichtet er in München Englisch, evangelische Religion und Biologie. Und das Interesse für diese Themengebiete ist auch in seinen Roman geflossen.

Der Erzähler Tommi übersiedelt nach seiner Ausbildung als Koch nach England und lässt sich von London faszinieren, als Stadt unausgesprochen ein größter Kontrast zum Nürnberg der Kindheit und Jugend. Hier, wo es die Mutter gibt, die Pastorin, ihr Leben geformt durch den Glauben, gefestigt durch das Gerüst der Bibelzitate. Die ihrem Sohn Michael eine an passender Stelle aufgeschlagene Bibel auf das Nachtkästchen legt, als sie nach dem Fund eines Pornoheftchens für Schwule fürchtet, er sei vom rechten Weg abgekommen.

"Ein Schaben" ist ein Coming-of-Age-Roman auf gut 180 Seiten. Von der Kindheit bis in die Dreißiger - erzählt als langer Brief an den Bruder, den Abwesenden, den Verlorenen, der als Kindheitserinnerung eingeführt wird: "Micha der Haltgeber, Micha der Beibringer, Micha der Erstrebenswerte." Ihre Faszination für die Unverwüstlichkeit der Schaben hat die Brüder verbunden, vielleicht auch, weil vieles andere so vergänglich schien. Frühe Erinnerung an den Vater, der sie sitzen lässt. Vom Erzähler, noch sehr jung, nur am Rande seines Gesichtsfeldes wahrgenommen, vom älteren Bruder nie verarbeitet.

Weiterlesen:

https://www.sueddeutsche.de/muenchen/rob...nberg-1.5900146


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Sirius
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