Überwachung: Die Predator Files
Eine Welt ohne Skrupel: Wie die Intellexa-Allianz um den israelischen Exgeheimdienstler Tal Dilian Überwachungstrojaner an Despoten verkauft – und die Schweiz als sicheren Hafen zur Verschleierung ihrer Geschäfte nutzt. Die grosse internationale Recherche.
1. Aiman Nur, das Opfer
Bis Aiman Nurs Leben keine Geheimnisse mehr birgt, dauert es zwei Minuten. Es ist der 22. Juni 2021. Um 14.33 Uhr klickt der ägyptische Politiker auf einen Link, den er über Whatsapp erhalten hat. 120 Sekunden später ist «Predator» in sein Smartphone eingedrungen. Still und heimlich verschafft sich die Software Zugang zu allen Inhalten, greift auf Fotos und Kontakte zu, aktiviert Kamera und Mikrofon – und verwandelt das Gerät in einen mächtigen Spion.
Nurs Fehler: Er ist auf einen falschen Presseartikel hereingefallen, verschickt von einer ägyptischen Nummer. Der Bericht ist auf Nur zugeschnitten: «Türkei ruft ägyptische Oppositionssender auf, Ägypten nicht mehr zu kritisieren», so die Schlagzeile. Nur, der für seinen Einsatz für Menschenrechte bekannt ist, lebt seit Jahren in Istanbul. Nachdem er 2005 den ägyptischen Machthaber Hosni Mubarak als Präsidentschaftskandidat herausgefordert hatte, musste er für vier Jahre ins Gefängnis. Anschliessend floh er ausser Landes. In der Türkei betreibt Aiman Nur einen TV-Sender, der regelmässig Kritik am ägyptischen Regime übt.
Nach dem 22. Juni bemerkt Nur auf seinem Handy Fehlfunktionen. Als ein regierungsnaher ägyptischer Sender private Nachrichten und Fotos von ihm veröffentlicht, beginnt er um sein Leben zu fürchten. Nur lässt sein Telefon vom Citizen Lab überprüfen. Die Expert:innen des auf Cybersicherheit spezialisierten Instituts der Universität Toronto finden auf dem Gerät zwei Trojaner. Einer davon heisst «Predator». Zu Deutsch: Raubtier.
Die Verwendung von Spionagesoftware, die innert weniger Minuten sämtliche Chats, Gespräche, Fotos und Videos auf einem Smartphone abgreifen kann, ist streng reguliert. In der EU und in der Schweiz fällt sie in die Kategorie sogenannter Dual-Use-Güter, ihr Verkauf unterliegt Exportgesetzen. Landet die Technologie in den falschen Händen, wird sie zur Waffe. Aber wie gelangte sie auf Aiman Nurs Handy?
Gemeinsam mit internationalen Partnermedien und unter Koordination des Rechercheverbunds European Investigative Collaborations (EIC) hat sich die WOZ auf die Spur von Predator begeben – und geleakte Daten, Gerichtsdokumente und Verhörprotokolle, Transkripte von abgehörten Telefongesprächen, Verträge und Produktofferten ausgewertet, die «Mediapart» und «Der Spiegel» erhalten haben. Was dabei ans Licht kommt, ist eine Welt ohne Skrupel, in der für den eigenen Profit alle Mittel recht sind. Die EU und die Schweiz dienen dabei als sicherer Hafen für dubiose Geschäfte. Unter dem Radar oder gar unter dem nachsichtigen Blick der Behörden.
Vor zwei Jahren haben bereits die Enthüllungen rund um die «Pegasus»-Software der israelischen Firma NSO Group deutlich gemacht, wie Oppositionelle, Regimekritiker oder Journalistinnen mithilfe eines gehackten Smartphones ausspioniert werden. Die «Predator Files» zeigen nun umfassend, wie eine Gruppe umtriebiger Geschäftsleute Überwachungsprodukte an Despoten und Unrechtsstaaten verkauft – nach Ägypten und Libyen, Madagaskar und Vietnam. Die Verkäufe koordinieren sie über zahlreiche Whatsapp-Chats; dort planen sie auch die Präsentationen der Produkte, tauschen sich über technische Details aus und diskutieren Vertragsverhandlungen.
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https://www.woz.ch/2340/ueberwachung/die...s/!SQSEPFPJ45YS
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